Die Visions- Verkäufer

Werbung
Werbung
Werbung

Es klingt wie eine Seifenoper, nur der Schauplatz ist dafür denkbar schlecht geeignet. Für das "Forschungsflaggschiff" der EU, das Human Brain Projekt zur Hirnforschung, würde man sich zumindest ansatzweise erwarten, was im EU-Jargon so beschworen wurde: "das Potenzial, die Wissenschaft zu revolutionieren, die Industrie zu beflügeln und das Leben der Menschen durch neue Therapien zu verbessern". Stattdessen treten ganz andere Themen in den Vordergrund: inhaltliche Divergenzen, persönliche Eitelkeiten und institutionelle Rivalitäten. Aus dem 2013 initiierten Prestigeprojekt ist binnen kurzer Zeit das größte Streitobjekt des europäischen Wissenschaftsbetriebs geworden. Die Gefahr des Scheiterns bleibt akut.

Mit Aussicht auf Forschungsförderung von einer Milliarde Euro ist das Projekt gestartet, um Europa an die Weltspitze der Hirnforschung zu katapultieren. Bis 2023 sollen Computer-Simulationen zu einem neuen Verständnis des Gehirns und seiner Erkrankungen führen. Doch von Anfang gab es Bedenken - Zweifel an der Methodik und Zielsetzung sowie Kritik am egomanen Führungsstil von Henry Markram, der das Projekt unter das Dach der ETH Lausanne eingeworben hatte. Letztes Jahr kochte die Debatte hoch, als die kognitive Hirnforschung aus dem Kernbereich des Projekts hinausgedrängt werden sollte. 800 Wissenschafter unterschrieben einen Protestbrief an die EU. Seitdem vermittelt Wolfgang Marquardt vom deutschen Forschungszentrum Jülich; Reformvorschläge sind nun eingebracht. Marquardt hat wohl Recht, wenn er sagt: "Ein Scheitern wäre fatal für die europäische Wissenschaft." Das "Big-Science"-Unterfangen jetzt zu stoppen, wäre zu voreilig. Es lässt sich ohnehin bald an seinen Resultaten messen. Eine Einsicht ist jedoch schon heute zu bedenken: dass man mit teils absurden Versprechungen und überzogenem Selbst-Marketing bei der Forschungsförderung reüssieren kann. Und zwar, wie man hier sieht, in ganz großem Stil: Zuerst wird der Mund voll genommen und eine Vision verkauft. Erst danach geht es darum, das Machbare zu verhandeln. Dieses systemische Spiel mit der Blendung aber nimmt kostspielige Enttäuschungen zu leichtfertig in Kauf.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung