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Moderne Röntgentechnik

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In den rund fünfzig Jahren seit ihrer Entdeckung sind die Röntgenstrahlen in fast alle Gebiete menschlicher Tätigkeit eingedrungen. Es gibt wohl nicht allzu viele Menschen in der zivilisierten Welt, die nicht wenigstens einmal mit Röntgenstrahlen durchleuchtet wurden, aber ihre Bedeutung für die Materialprüfung jeder Art, in Technik, Industrie und Handel, von der Durchleuchtung metallischer Werkstücke bis zur Echtheitsprüfung von Gemälden alter Meister, ist nicht geringer. Die technischen Röntgenanlagen sind für die verschiedenen Verwendungszwecke äußerlich recht verschieden, insbesondere je nach der gewünschten Leistung verschieden groß, aber das Prinzip, auf dem sie beruhen, ist bei allen dasselbe.

In einer luftleer gepumpten und luftdicht abgeschlossenen zylindrischen Röhre, die meist aus Glas und Metallteilen zusammengesetzt ist, werden, wie in einer Rundfunkröhre, Elektronen erzeugt. Diese Elektronen werden in einem elektrischen Feld — wieder wie in einer Rundfunkröhre — an eine metallische Anode, die in der Röntgenröhre als Antikathode bezeichnet wird, geführt, in der sie abgebremst werden. Die elektrischen Spannungen, die diese elektrischen Felder erzeugen, sind in einer Röntgenröhre, verglichen mit einer Rundfunkröhre, sehr hoch. Selbst kleine Röntgenapparate arbeiten mit rund 50.000 Volt. Die Elektronen werden um so schneller, je größer die elektrische Spannung ist, die sie durchlaufen, und mit um so größerer Wucht treffen sie auf die Antikathode, in der sie abgebremst werden. Bei dieser Abbremsung entsteht viel Wärme, so viel, daß die Antikathode glühend wird und auf verschiedene Weise dafür gesorgt werden muß, daß das Metall der Antikathode nicht schmilzt. Aber es entsteht nicht nur Wärme, wenn das auch der größte Energieverbrauch ist, sondern auch eine durchdringende Strahlung — die Röntgenstrahlen. Sie sind um so durchdringender, mit je größerer Wucht die Elektronen auf die Antikathode auftreffen. Je größere Durchdringungsfähigkeit die Strahlen haben sollen, desto höher muß die an der Röntgenröhre liegende Spannung sein. Allerdings wächst die Durchdringungsfähigkeit mit zunehmender Spannung nicht unbegrenzt. Oberhalb einer gewissen Spannung nimmt die Durchdringungsfähigkeit bei weiterer Steigerung der Spannung sogar wieder ab — die Strahlen werden dann schon in kleineren Materialdicken praktisch vollständig verschluckt. Es gibt also hinsichtlich der Durchdringungsfähigkeit eine optimale Spannung, die je nach dem durchstrahlten Stoff zwischen 5 und 30 Millionen Volt liegt, wobei der optimale Wert um so tiefer liegt, je schwerer der Stoff ist. In den üblichen Röntgenanlagen der medizinischen und industriellen Praxis sind kaum mehr als 300.000 Volt verfügbar, die einem an das Stadtnetz angeschlossenen Wechselstromtransformator entnommen werden. In außergewöhnlichen Anlagen sind nach diesem Prinzip auch Apparate für eine Höchstspannung von einer Million Volt gebaut worden, womit man aber auch schon ungefähr die mögliche obere Grenze, wenigstens der Größenordnung nach, erreicht hat. Weder lassen sich Wechselstromtransformatoren wesentlich höherer Spannung bauen, auch nicht, wenn man zu Kaskadenschaltungen seine Zuflucht nimmt, noch auch ist es einfach, Röntgenröhren herzustellen, die so hohe Spannungen ohne Funkenüberschläge aushalten, also einen stabilen Betrieb gewährleisten. Auf jeden Fall wächst aber eine solche Anlage räumlich so sehr in die Höhe und Breite, daß man im allgemeinen davor zurückschreckt.

Diese Schwierigkeiten werden nun seit einigen Jahren vollständig' umgangen. Man beschleunigt die Elektronen nicht mehr in einem elektrischen Gleichfeld, sondern in einem magnetischen Wechselfeld, das von einem großen Elektromagneten erzeugt wird. Auf diesem neuen Prinzip beruht das Betatron. Vor kurzem teilte die englische naturwissenschaftliche Wochenschrift „Nature“ mit, daß im Krebsspital in London ein nach diesem neuen Prinzip gebauter Röntgenapparat aufgestellt wurde. In diesem Apparat werden die Elektronen im magnetischen Wechselfeld so hoch beschleunigt, daß sich ihre Geschwindigkeit von der Lichtgeschwindigkeit nur mehr um acht Promille unterscheidet. Ihre Energie entspricht vier Millionen Volt, das heißt, sie haben dieselbe Energie, als ob sie in einer Röntgenröhre beschleunigt worden wären, an der eine Spannung von vier Millionen Volt angelegt ist. Im Betatron vollzieht sich aber die Beschleunigung der Elektronen in einer kreisringförmigen Röhre, die zwischen den Polschuhen des Elektromagneten liegt, und die Elektronen laufen fortwährend im Kreis herum und werden bei jedem Umlauf etwas schneller. Wenn sie vier Millionen Volt erreicht haben, können sie nicht mehr nennenswert schneller werden, wohl aber kann ihre Energie noch sehr viel weiter zunehmen, und zwar durch Zunahme der Masse der Elektronen. Diese weitere Energie-runahme wird in diesem Apparat nach dem Synchrotronprinzip bewirkt, das heißt durch die passende Anwendung eines elektrischen Hochfrequenzfeldes. Auf diese Weise bekommen die Elektronen schließlich Energien, die 30 Millionen Volt und darüber entsprechen. Eine elektrische Gleichspannung von 30 Millionen Volt wäre wohl überhaupt nicht realisierbar. Wenn die Elektronen diese große Energie erreicht haben, werden sie, wie in einer normalen Röntgenröhre, auf eine Metallplatte — die Antikathode — konzentriert und in dieser abgebremst. Dabei entsteht nun, wie oben geschildert, Röntgenstrahlung, und zwar von besonders großer Durchdringungskraft. Der Raumbedarf und das Gewicht dieses Apparats sind nicht übermäßig. Der Elektromagnet wiegt nur etwa drei Tonnen. Der erforderliche elektrische Leistungsaufwand ist allerdings 1500 Kilovoltampere. Aus Gründen des Strahlungsschutzes befindet sich die Anlage in einem unterirdisch gelegenen Raum. Man verspricht sich von diesen, wenigstens zum Teil, besonders durchdringenden Strahlen neue Anwendungsmöglichkeiten in der Medizin, insbesondere bei der Behandlung bösartiger Geschwülste und Gewebsveränderungen. Bevor man aber darangehen kann, diese Strahlen auf den menschlichen Körper loszulassen, sind noch eingehende Untersuchungen über die Verteilung der Strahlung und ihrer Stärke in Modellkörpern notwendig. Zur technischen Werkstoffprüfung werden Apparate dieser Bauart in den Vereinigten Staaten schon benützt.

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