Über die Zustände und das Schicksal der politischen Gefangenen in der Sowjetunion sind in einem halben Jahrhundert ungezählte Berichte und Bücher veröffentlicht worden. Daß einem bis zu seinem ersten Buch völlig unbekannten Autor mehr Glaubwürdigkeit als vielen anderen zugestanden wurde, war nicht nur auf seine epische Gestaltungskraft zurückzuführen, mit der er den infernalischen Alltag der Strafarbeitslager schilderte. Als einer von 50 Millionen Häftlingen vermochte er die Totalität des Lagerlebens politisch, psychologisch und philosophisch so scharfsinnig zu analysieren, daß erst dadurch die bis dahin unverständlich gebliebenen Zusammenhänge und Methoden eines Terrors deutlich wurden.
Nun ist es bereits wieder etwas stiller um Alexander Solschenlzyn und seine „in den Kreml geworfene Buchbombe“ geworden. Die Journaille, für die er wochenlang die Sensation gewesen ist, hat sich längst wieder anderen Objekten zugewendet. Ein Dichter, der nichts als die Wahrheit schreibt, ist langweilig, ein Systemgegner, der nicht mehr inmitten des Grauens haust, ist uninteressant. (Solschenizyns Buchtitel konnte gerade noch zur albernsten aller Farcen herhalten, als die Studenten der Wiener Musikhochschule mit ihrer Aktion Archipel Gulasch gegen zu hohe Mensa-Preise
Der übereilt einberufene 14. Parteikongreß der KPTsch ist ohne Störung und Sensation über die Prager Szene gegangen. Die Moskauer „Prawda“ konnte von einem „Triumph der sozialistischen Idee“ schreiben.Husäk vermeldete in seinem Hauptreferat den Abschluß der „Normalisierung“ im Lande und strafte die Mißdeuter und Schwarzseher Lügen, die behauptet hatten, er hätte Duböeks „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ durch „Terror mit menschlichem Antlitz“ ersetzt.Normalisierung der Situation? Die Jugend steht abseits, die Stimmung im Volk reicht von Gleichgültigkeit
Der Anarchie nach dem kommunistischen Staatsstreich vom Februar 1948 waren Jahre streng-ideologischer Gängelung und geistiger Sterilität gefolgt, Jahre, die lange noch „das Trauma“ der tschechischen und slowakischen Literatur geblieben sind. Erst 1956 kam auf dem 2. Allstaatlichen Schriftstellerkongreß der große Umschlag mit soelementarer Unmittelbarkeit, daß die offiziellen Dogmatiker im großen Sitzungssaal des Prager Parlaments kaum ihren Ohren trauten. Plötzlich entdeckten die Schriftsteller von neuem die wahre Aufgabe der Literatur, begannen künstlerische Probleme, heikle