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Politik und Literatur in der CSSR

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Der Anarchie nach dem kommunistischen Staatsstreich vom Februar 1948 waren Jahre streng-ideologischer Gängelung und geistiger Sterilität gefolgt, Jahre, die lange noch „das Trauma“ der tschechischen und slowakischen Literatur geblieben sind. Erst 1956 kam auf dem 2. Allstaatlichen Schriftstellerkongreß der große Umschlag mit so

elementarer Unmittelbarkeit, daß die offiziellen Dogmatiker im großen Sitzungssaal des Prager Parlaments kaum ihren Ohren trauten. Plötzlich entdeckten die Schriftsteller von neuem die wahre Aufgabe der Literatur, begannen künstlerische Probleme, heikle Themen offen zu diskutieren und weitreichende literarische wie politische Forderungen zu erheben.

Gegen dogmatische Bastionen

Die Zeit der kleinen und großen Kulte, des idealisierten Stalinismus schien unwiederbringlich dahin. Die fruchtbare Unruhe der intellektuellen Rebellion stand im Begriff, den gesamten Bereich der tschechischen und slowakischen Kritik und Literatur zu verwandeln. Die Jungen (Grossmann, Ludvik Kundera u. a.) forderten Freiheit des schöpferischen Intellekts, produktive Vielfalt gegen ideologische Monokultur, gegen den diktatorisch auftretenden, platten sozialistischen Realismus. „Je mehr Gruppen, Zentren, Almanache, Zeitschriften, Bücher... je mehr Vielfalt, Reichtum und Initiative es in unserem künstlerischen Leben und in seinen Organisationsformen geben wird, desto eher wird sich eine wahrhaft junge Kunst entfalten. Je mehr Verwirrung heute auf dem Gebiet der Kunst, desto fruchtbarer die Kunst morgen und übermorgen.“

Wohl ging die Parteiorganisation zwei Jahre nach dem entscheidenden Schriftstellerkongreß, nachdem sie sich von ihrer Lähmung in den Wochen der Budapester und Warschauer Ereignisse wieder erholt und ihr Widerstand gegen die unbotmäßigen Intellektuellen sich allmählich wieder versteift hatte, zum offenen Angriff über. Aber die mächtige Bewegung in der gesamten tschechoslowakischen „Inteiligen-tsija“ und im Künstflertum gegen die dogmatischen Bastionen war nicht mehr einzudämmen. Es wurde ein Dauerkampf der Partei gegen den „verwerflichen, übertriebenen Liberalismus“ in den Zeitungen, Zeitschriften und Verlagen, in jedem einzelnen Theater und Filmatelier, an den Hochschulen, in den zahlreichen Instituten für Soziologie, Geschichte und Wirtschaft, in den Verbänden der Schriftsteller, Maler

und ■RilMhauer.

Dieser Prozeß, der auch den heutigen Verhältnissen und den Tendenzen der Gegenwartsliteratur zugrunde liegt, endete 1963. Die Anzeichen für eine geistige Auflockerung mehrten sich. Mit der „Heimholung“ Kafkas im Mai 1963 anläßlich der Tagung auf Schloß Liblice begann das eigentliche „Tauwetter“. Damals wurde eine Revision des

kommunistischen Kafka-Bildes

durchgesetzt.

Schonungslose Offenheit

Mitte 1963 erschien im Organ des slowakischen Schriftstellerverbandes „Kultürny 2ivot“ ein Artikel über die „Rolle der schöpferischen Intelligenz“, worin der „Personenkult“ als identisch mit dem „Kult von Stupidität, Bürokratie und Trägheit“ bezeichnet wurde. Im Herbst desselben Jahres veröffentlichte der ehemalige Hilfsarbeiter, Partisan, Autodidakt und Journalist Ladislav Mnaöko seine „Verspäteten Reportagen“, worin schonungslos und in erschreckender Offenheit die Praktiken des totalitären Polizeistaates während der stalinistischen Ära der Tschechoslowakei nach 1949 geschildert wurden. Das Buch erlebte innerhalb kurzer Zeit zwei slowakische und eine tschechische Auflage von insgesamt 300.000 Exemplaren und wurde im Mai 1964 mit dem Klement-Gottwald-Preis, einem der höchsten staatlichen Kulturpreise der Tschechoslowakei, ausgezeichnet, was angesichts der Verbundenheit Gottwaids mit derr Stalinismus nicht einer gewisser Ironie entbehrte. Anfang 1967 erschien in Wien die deutsche Ausgabe seines Reportageromans „Wen-die Macht schmeckt“, wohl die bisher erstaunlichste Auseinandersetzung über die Macht und die Machtausübenden in einer Volksdemokratie. „Wir sind unseren Künstlern dankbar für die Sonde, die sie tief in unsere Gesellschaft, ins Innere unseres Menschen senken“, erklärte in einer Rede das Politbüromitglied der Partei, Hend-rych. Das klang nach Ergebenheit den Künstlern und Literaten gegenüber. Aber die Möglichkeiten des Vergleichens zwischen den Mißständen von einst und denen von heutt schien denn doch zu riskant. Als< wurde die bereits erteilte Druckerlaubnis nach zahlreichen Interventionen, selbst von allerhöchste! Stelle, wieder zurückgenommen Immerhin konnte man vorher Auszüge in der Prager Zeitschrift „Pia-men“ lesen; immerhin konnte da wegen des ungewöhnlichen Mute seines Autors Aufsehen erregend&#171; Buch in zahlreichen Fremdspracher erscheinen.

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