Interpretieren, aber richtig!

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Eine Textinterpretation ist der Versuch, die beabsichtigten wie unbeabsichtigten Wirkungen eines Textes zu beschreiben - oder den betreffenden Autor sogar besser zu verstehen als dieser sich selbst, wie Friedrich Schleiermacher meinte.

Gemessen an diesen Vorgaben verdienen die (anonymen) Verantwortlichen für die Zentralmatura-Aufgaben im Fach Deutsch ein glattes "Nicht genügend“. Sie haben die Schülerinnen und Schüler einen Prosatext aus der Feder des deutschen Autors Manfred Hausmann interpretieren lassen - ohne dessen NS-Prägung anzumerken. Verschwurbelte Sätze, in denen ein Mann eine Schnecke zertritt, die seine gezüchteten Salatblätter bedroht, verlieren vor diesem Hintergrund ihre Harmlosigkeit. Sie unter das Allerwelts-Thema "Verantwortung gegenüber Umwelt und Gesellschaft“ zu stellen, zeugt entweder von grenzenloser Dummheit oder unendlicher Schlamperei.

Die Deutschmatura-Groteske ist freilich nur der Höhepunkt einer Reihe von Pannen beim Probelauf für die Zentralmatura - nach Last-Minute-Änderungen beim Beurteilungsschlüssel in Englisch und Französisch sowie wunderlich verschwundenen Mathematik-Aufgaben. Höchste Zeit, das zuständige "Bundesinstitut für Bildungsforschung“ (BIFIE), das sich nach der Datenleck-Affäre endgültig zum Problembären der hiesigen Schulpolitik entwickelt hat, entweder zu "redimensionieren“ (wie Unterrichtsministerin Heinisch-Hosek angedeutet hat) oder aufzulösen.

Sollte das Ministerium 2015 die Abwicklung selbst organisieren, ist das freilich keine Garantie für Pannenlosigkeit - und auch kein zwingender Schritt in Richtung eines besseren, nachhaltigeren Schulsystems. Die neu gewonnene Vergleichbarkeit der Maturanoten wird vielmehr die eigentliche Baustelle des österreichischen Bildungswesens offenlegen: nämlich die enormen Leistungsunterschiede, die stärker als in anderen Ländern mit den sozioökonomischen Hintergründen der einzelnen Kinder korrelieren. Doch wahrscheinlich wird man sich ohnehin davor hüten, die einzelnen Ergebnisse ans Licht der Öffentlichkeit zu zerren - und lieber das tun, was Politik seit jeher tut: interpretieren, dass sich die Balken biegen.

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