Abraham war kein Israelit

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Thema: Abraham

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Abraham ist der Stammvater des Judentums. In den Erzväter-Erzählungen der Genesis ist er die zentrale Figur. Er folgt dem Ruf Gottes und geht in die Fremde, besteht eine Menge Prüfungen und setzt den Brauch der Beschneidung ein, das Bundeszeichen. Jeder, der das Judentum als Religion annimmt, nennt stolz Abraham seinen symbolischen neuen Vater. Und der Psalmist spricht von Israel als dem Volk des Gottes Abrahams.

Und doch ist Abraham kein Israelit. Er ist ein Mann aus Ur in Chaldäa. Zwar wandert er in das Gebiet des späteren Israel ein und kauft eine Höhle bei Hebron als Grabstätte. Aber eigentlich bleibt er zeitlebens ein Wanderer und Heimatloser. Als Zeuge großer Verheißungen Gottes an Israel ist er für uns Juden unverzichtbar. Aber Abraham ist eigentlich nirgends zuhause, ist ein Migrant. Der Talmud (Schabbat 105 a) nennt ihn den König aller Nationen.Denn Gott sagt durch Abraham allen Völkern der Erde Segen zu.

So teilen wir Juden Abraham mit der Welt. Allen voran teilen wir ihn mit den Muslimen, deren Stammvater Ismael durch Abraham mit der Nebenfrau Hagar gezeugt worden ist. Besonders bedeutsam ist Abrahams enorme Gastfreundschaft. Als Zeuge des einen Gottes war sein Zelt für jeden offen, seinen Gästen erwies er Freundschaft über alle Maßen. Der Exeget Raschi legt Genesis 21,33 so aus: Immer wenn seine Gäste Abraham beim Abschied danken wollten, erwiderte dieser: „Nicht ich bin hier Eigentümer. Es gibt einen Schöpfergott. Ihm sind wir alle Dank für unsere Existenz und unsere Nahrung schuldig.“ So wird „Gottes Liebling“ zum Anfang von Israels Bund mit Gott ebenso wie zum Unterpfand dafür, dass alle Menschen seine Kinder sind. Abrahams Gastfreundschaft ist Gottes Gastfreundschaft. Und so, wie wir alle fast überall auf Erden Fremde sind, finden wir in Gott unsere Heimat und überall dort, wo Gottes Kinder sind.

* Der Autor, Rabbiner, leitet das Abraham-Geiger-Kolleg/Potsdam

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