Streitfall Dreifaltigkeit
M oses Maimonides hat Gott aus jüdischer Sicht so beschrieben: Gott ist der einzige Schöpfer, unsichtbar, körperlos, ewig und einzigartig. Damit unterstreicht er die Einsicht: Der begrenzte Verstand kann den unbegrenzten Gott nicht erfassen. In der Bibel bleibt die Stelle leer, an der man eine ausführliche Darstellung Gottes hätte erwarten können. „Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Die Erde aber war bloß und bar.“ Dieser erste Vers des Buchs Genesis setzt Gottes Dasein bereits als gegeben voraus und richtet die Aufmerksamkeit ganz auf das Wesen der Welt.
Selbst bei Abraham werden keine Einzelheiten über seine religiöse Suche berichtet. „Und der Ewige sprach zu Abram: ‚Zieh du aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und vom Haus deines Vaters nach dem Land, das ich dir zeigen werde“ (Gen 12,1). Die Gegenwart Gottes wird vorausgesetzt, Hauptinteresse liegt auf der Menschheit und ihrer Entwicklung. Bei der deutlichsten persönlichen Offenbarung an Mosche ist das Höchste, was ihm zu sehen erlaubt ist, Gottes „Rückseite“ (Ex 33,23). Das Judentum beansprucht nicht das vollständige Wissen über Gott. Unsere Zuversicht ist das Dasein Gottes. Ein Dogma über Gottes Wesen ist uns fremd. Es tut nichts zur Sache, wenn Juden unterschiedliche Vorstellungen von Gott haben. Wichtig ist, dass sie einander helfen, in engere Beziehung zu Gott zu kommen.
Gott ist also nicht nur der Gott der großen Entwürfe, der erschafft und Recht setzt, sondern auch der Gott jedes einzelnen Individuums, der in Beziehung zu uns stehen kann: als kollektive Erfahrung am Sinai, als sanfte Stimme, wie sie der einsame und verzweifelte Elija vernahm oder im Sturm, als Ijob verzweifelt nach einem Sinn seines Leidens suchte Im Judentum gilt es nicht als Häresie, eine „falsche“ Ansicht über Gott zu haben. Schlimm ist, Gottes Dasein durch unmoralische Taten zu leugnen.
* Der Autor, Rabbiner, leitet das Abraham-Geiger-Kolleg in Berlin.
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