Alles ist Verehrung - wenn nicht Andacht

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Über 75 Jahre nach der Entstehung erscheint Alfred Polgars grenzenlose Bewunderung seiner Zeitgenossin Marlene Dietrich bei Zsolnay.

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Über 75 Jahre nach der Entstehung erscheint Alfred Polgars grenzenlose Bewunderung seiner Zeitgenossin Marlene Dietrich bei Zsolnay.

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Das Frühjahr 1927 bescherte Alfred Polgar einen Theaterabend der unerfreulicheren Sorte. Im Akademietheater gab man "Marika" des Ungarn István Zágon. Marika, ein Naturkind, wächst unschuldsvoll und weltfremd in einer einsamen Berghütte auf. In Ungarn gäbe es anscheinend kein Volksschulgesetz, resümierte Polgar in seiner Kritik, "denn Marika, obgleich schon vierzehn, hat (abgesehen von jenem, der morgens auf den Wiesenblümchen ruht) keinen Tau von irgendwas. Die Gute, sie sagt es selbst, weiß nicht einmal, was 'Langeweile' ist." Polgars Fazit: "Ein Schritt in den Zuschauerraum und sie wüsste es."

Die Kritik erschien in der Berliner Weltbühne und zeigte Polgar auf der Höhe seines Witzes und seiner Formulierungskunst. Polgar gehörte zur Kulturprominenz der deutschen Hauptstadt und war neben Alfred Kerr der wichtigste Kritiker des deutschen Sprachraums. Er verfügte über mancherlei Säure, mit deren Hilfe er die Objekte seiner Kritik in edle und unedle schied - mit einer Skala von Zwischenstufen. Stücke wie "Marika" verdanken es ausschließlich den aparten Mustern, die die Polgar'schen Ätzungen auf ihnen hinterließen, dass wir uns ihrer überhaupt erinnern.

Man wurde miteinander bekannt

Der Herbst 1927 jedoch bescherte Alfred Polgar einen Theaterabend, der eine schauspielerische Entdeckung barg. Man gab in den Wiener Kammerspielen den Reißer "Broadway", die Sensation des Abends war für Polgar die Darstellerin der "Ruby":"Es war die zweite von links, die, im kritischen Augenblick, den Revolver hob und die Kanaille niederschoss. Sie schoss von einer Treppe herab, die im Hintergrund sich wendelte () und sah auf das Opfer mit einem Blick, in dem Uninteressiertheit, kindliche Neugier, Müdigkeit und Gefühl schicksalhaften Unvermögens zu verstehen ( ) sich mengten." Der Name der Dame: Marlene Dietrich. Polgar war ihr von jenem Tag an verfallen. Man schrieb einander, man wurde miteinander bekannt. 1937, die Nazis waren in Deutschland an der Macht und Polgar in sein Heimatland Österreich geflüchtet, beauftragte ihn der Wiener Verlag Lechner ein Portrait der Dietrich zu verfassen. Polgar machte sich an die Arbeit, die ihm jedoch zunehmend schwerer fiel. "Es passirt mir beim Schreiben zu häufig, dass ich, des trockenen Tones satt, in eine ironische Einstellung zum Thema hineinrutsche", klagte er. Der "Anschluss" 1938 machte das Buchprojekt zunichte. Polgar und seine Frau Lisl mussten flüchten, und Polgar nahm das Manuskript mit in die Emigration. Es wurde zu seinen Lebzeiten nie veröffentlicht. Der Polgar-Biograf und Herausgeber des Marlene-Portraits, Ulrich Weinzierl, fand es schließlich in einem kleinen Koffer in der New Yorker Wohnung von Polgars Stiefsohn. Dessen Witwe schenkte es Weinzierl.

Noch 2005 war sich Weinzierl, der beste Kenner des Polgar'schen Oevres, über die Qualität des Textes nicht sicher. "Gewiss, da sind exzellente Absätze, echtester, hinreißender Polgar", meinte er auf einer der Wiener Vorlesungen. "Aber zum Beispiel jenes Kapitel, das ein offenbar in Paris geführtes Interview wiedergibt, hat wohl auch seinen Qualitätsansprüchen nicht unbedingt entsprochen." Was in der Zwischenzeit auch passiert sein mag: Ob Weinzierl sein Urteil revidiert hat oder der Verlag ihm ein Angebot machte, das er nicht abschlagen konnte: "Marlene -Bild einer berühmten Zeitgenossin" erschien vor wenigen Wochen bei Zsolnay. Das Buch ist, auch ausstattungstechnisch, ein Vergnügen, wiewohl von den 160 Seiten nur 65 den Polgar'schen Text wiedergeben. In einem fast ebenso langen Essay "Aber verliebt in sie war ich schon " schildert Ulrich Weinzierl in bewährter Akribie die Beziehung zwischen Polgar und der Dietrich, die dem von Erwerbslosigkeit und Nationalsozialismus bedrohten Ehepaar Polgar mehrmals finanziell unter die Arme griff.

Uneingeschränkte Verehrung

Und der Text Polgars? Unübertrefflich, wo er von der Filmgöttin Marlene handelt, die die elegante Verführerin gibt, "deren Lieblingsspaziergang der über Leichen ist, den Vampir, abgekürzt: Vamp, auf schwellenden Kissen hingeschlängelt à la serpent, der Gentlemen das Blut oder zumindest das Geld aussaugt (was in den meisten Fällen das Gleiche ist)". Der Aufstieg der Dietrich in den Kinohimmel nimmt naturgemäß breiten Raum ein, aber es gibt auch eine Glosse über den "Sex Appeal" und das Interview, von dem Ulrich Weinzierl so wenig überzeugt war, enthält eine wunderbare Schlusspassage. Polgar fragt Marlene Dietrich, welche schlechte Eigenschaft sie habe. "Marlene, sanft, erkältet und auf manches gefasst, überlegt ein Weilchen, dann sagt sie schlicht:'Keine.'" Etliche Mühe verraten hingegen die Stellen, die von Marlenes Beinen, von Marlenes Haaren oder von Marlenes Augenfarbe handeln und man wünscht, Polgar wäre "in eine ironische Einstellung zum Thema" hineingerutscht. Die war jedoch gewiss nicht die Intention des Verlags und noch weniger die der Dietrich.

Abgesehen davon steht man ratlos, welche Formulierungs-Preziosen man der Buchbesprechung anvertrauen will, von einer zur anderen blätternd, stets von einer weiteren geblendet. Und man erkennt, dass es vielleicht ganz gut war, dass Polgar keine längeren Texte geschrieben hat, denn im gehäuften Gefunkel der Bonmots droht man zu erblinden. Und dann ist da noch etwas anderes: Von den Köstlichkeiten der Feuilleton-Bonbonnieren aus der Maison Polgar waren die sauren Drops à la "Marika" stets die beliebtesten. Sauer, heißt es nicht umsonst, macht lustig. Doch leider finden sich im Text über Marlene gar keine zitronigen Gaumenfreuden, alles ist Verehrung -wenn nicht Andacht. "Marlene" ist ein Adorationstext, wenngleich einer auf höchstem sprachlichen Niveau. Lesen sollte man ihn auf alle Fälle.

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