Anarchie im Punschkrapferl

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Brechts "Dreigroschenoper" in der Josefstadt: Unterhaltung mit Wiedererkennungsgarantie.

Was der Einjahresdirektor verpatzt hat, kann auch der Regisseur nicht wieder gutmachen. Hans Gratzers Inszenierung der "Dreigroschenoper" (in der Co-Regie mit Hanspeter Horner) hat keine neuen Akzente für das Theater in der Josefstadt gebracht.

Gratzer schart seine Lieblingsschauspieler um sich, ob sie singen können oder nicht, das macht scheinbar nichts - für ihn. Aber das Publikum ist müde geworden, wenn Erich Schleyer seinen Peachum in Bertolt Brechts und Kurt Weills Umkehrung der Verhältnisse als Weihnachtsmärchen-Bettlerkönig à la "Oliver Twist" hinlegt.

Die Revue als Form der 1920er Jahre hat es Gratzer angetan, nicht die Vorlage der Beggar's Opera. Und so hat er ein hübsches Singspiel eingerichtet, das sich strudelteigartig von Szene zu Szene schleppt. Leidenschaftslos fügt sich das Orchester (Leitung: Michael Rüggeberg) in eine Arbeit, deren glaubwürdigste Momente in den inszenierten Hängern liegen.

Die aktuelle Brisanz der sozialen Schere verpufft in dieser heiteren Ganovenwelt-Revue zum Sozialismus für Bobos, die bourgeoisen Bohemiens der neuen liberalen Oberschicht.

Ein dementsprechend zurechtgestutzter Brecht bietet Unterhaltung mit Wiedererkennungs-Garantie, die von der Gefahr einer revoltierenden Gesellschaft keinen blassen Schimmer hat.

Auch ästhetisch wird Brecht der Konvention verpflichtet, selbst der Ausrufer (Siegfried Walther), der im Glitzerjäckchen als Varieté-Direktor über die Bühne stolziert, ist blass und sichtlich funktionslos.

Von Kurt Weills dissonanten Tönen überfordert zeigt sich der Josefstädter Mackie Messer (Herbert Föttinger). Als melancholischer Snob im Nadelstreif, der in die falsche Gesellschaft geraten ist, blickt er gelangweilt ins Bühnengeschehen, als hätte er mit all dem recht wenig zu tun. Er erstarrt in seiner weißen Maske und treibt emotionslos durch die Stationen seiner Räuberkarriere, in der er alles andere als ein wüster Lude ist. Tatja Seibts elegant-düstere Celia Peachum ist eine Art "The Monsters"-Lilly neben ihrer Tochter Polly, die Chris Pichler gesanglich bemüht, aber allzu gepresst, daneben haut.

Der als lächerlich vorgeführte Polizeichef Tiger Brown (Martin Zauner) verweigert jede Realitätsassoziation, die sich gerade heute mehr als auftäte. Am Ende thront er als königlicher Bote auf einer Rossattrappe und ist nur mehr Staffage. Allein die zurückhaltende, aber präsente Sona MacDonald trifft als Spelunken-Jenny die Ironie der antonalen Songs, die ansonsten trotz überinspirierter Artikulation wie eingebürgerte Schlager dahinplätschern.

Die Schärfe Brechts verliert sich spätestens an der Bühnenrampe, an der vierten Wand, gegen die der Theaterreformer des 20. Jahrhunderts unbedingt angeschrieben hat. Im Hintergrund eine mit bunten Lichtern gerahmte Spiegelkulisse (Ausstattung: Rolf Langenfass), platter ist die Botschaft kaum zu vermitteln. Wenn Mackie den Wohlstand-Song startet, dann erhellt das Saallicht den Zuschauerraum, das der Pause erwartungsvoll entgegenblickenden Gesichtern aber eine Enttäuschung versetzt. Nein, der Prosecco muss noch zehn Minuten warten, wo bliebe denn sonst die angewandte Gesellschaftskritik?

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