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Peachum zwischen Shylock und Anatevka

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Vor jeder Neuinszenierung der Dreigroschenoper erhebt sich die nervenzerfetzende Frage, ob sich der Regisseur, das Theater, die Mitwirkenden bis auf die Knochen blamieren. Oder ob sie es unter Aufbietung aller Kräfte doch schaffen, bloß in Ehren zu scheitern. Nach der Aufführung im Akademietheater frage ich mich ernsthaft, ob sie nicht sogar so gut wie irgend möglich war.

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Vor jeder Neuinszenierung der Dreigroschenoper erhebt sich die nervenzerfetzende Frage, ob sich der Regisseur, das Theater, die Mitwirkenden bis auf die Knochen blamieren. Oder ob sie es unter Aufbietung aller Kräfte doch schaffen, bloß in Ehren zu scheitern. Nach der Aufführung im Akademietheater frage ich mich ernsthaft, ob sie nicht sogar so gut wie irgend möglich war.

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Dieses Werk ist nämlich ein Himmelfahrtskommando. Aber nicht, weil es überholt ist, wie man immer wieder hört. Als so aktuell, wie man heute tut, wurde die Dreigroschenoper schon vor 50 Jahren, bei der Uraufführung, nicht empfunden. Schon damals denunzierte Tucholsky „diese sorgsam panierte Roheit, diese messerscharf berechneten Goldgräberflüche...“ als stilisiertes Bayern. (Nachzulesen im Programm, das aus dem Vollen des autobiographischen Materials der an der Uraufführung Beteiligten schöpft und dem diesmal wirklich niemand einen subversiven Unterton 'nachsagen kann.)

Ein großer Teil der Hiebe, die Brecht austeilte, sitzt noch immer. Und einige der Attacken sitzen seit 250 Jahren. John Gay erfand 1728 die „Beggars Opera“, (der Brecht die Handlung, aber auch Macheath, Peachum & Co. entnahm), um die Korruption des Premierministers Walpole zu geißeln, der bei der Uraufführung im Zuschauerraum saß. Besteht in einer Stadt wie Wien, und eine Woche, nachdem sich hier - in der Polizeidirektion! - ein Tonband mit Beweismaterial gegen einen Unterweltkönig auf wundersame Weise selber gelöscht hat, Anlaß, die Story mit der Kumpanei zwischen Gangsterhäuptling und Polizeichef für überholt zu halten? (Um jedem Mißverständnis aus dem Weg zu gehen: Der jeweilige „Tiger-Brown“ muß nicht immer gleich auf dem höchsten Sessel sitzen, und wird es in den seltensten Fällen tun!) Und wird Elend heute etwa nicht vermarktet? Die Personifikation dieser Vermarktung in der Figur des Peachum entsprach der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu Brechts Zeiten nicht mehr als heute, ist

aber heute auch um nichts weniger bühnenwirksam als damals.

Nein, die Schwierigkeiten mit diesem Dreigroschen-Geniestreich (in dem Ernst J. Aufricht, der ihn zur Uraufführung annahm, eine „lustige literarische Operette mit einigen sozialkritischen Blinklichtern“ sah!) sitzen anderswo. Bertolt Brecht und Kurt Weill (dem Brecht noch schnell vor der Vertragsunterzeichnung auf einer Parkbank ein Vertragsprozent herunterhandelte!) wollten Songs schreiben, „die von Schauspielern, also von musikalischen Laien“, gesungen werden konnten. Es ist das Pech aller späteren Regisseure und Darsteller, daß diese Songs gar nicht so einfach zu singen waren - aber sofort Interpreten fanden, die Maßstäbe setzten, denen seither kaum mehr jemand gerecht werden kann. Und daß diese Interpretationen im Film und auf Schallplatte erhalten sind. Und daß nicht nur Regisseur und Darsteller, sondern auch viele Zuschauer (und vermutlich sämtliche Premierengäste) sie im Ohr haben. Und daß der Regisseur das nur zu gut weiß. Gegen Lotte Lenya ansingen? Gegen Busch? Hoffnungslos.

Es gibt aber nur zwei Möglichkeiten, die „Dreigroschenoper“ zum Sieg zu führen: Alles übertreffen, was je diese Songs so gesungen hat, das ist aber unmöglich. Oder einen Weg finden, sie anders, aber ebenso legitim, richtig, dabei zündend, zu singen. Dem Modell ein Gegenmodell entgegenstellen. Das ist nur fast unmöglich. Darauf darf man noch hoffen.

Auch nach dieser Inszenierung, die immerhin ein paar vorsichtige, aber angesichts der Angst des Tormannes-vor diesem Elfmeter Mut erfordernde Schritte zu einer anderen In-

terpretation hin setzt. Was dabei herauskam, genügt, um die Aufführung sehenswert und interessant zu machen: Frit2 Muliar, der, auf der Suche nach einem neuen Peachum, auf der einen Seite in Shylocks Nähe, auf der anderen in Anatevka-Gefilde gerät. Der heldenhaft „seine Masche“ verleugnet. Der psychische Druck muß erheblich gewesen sein, sonst hätte er wohl beim Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens keinen Blackout gehabt (denn an eine Kürzung will ich nicht glauben).

Adolf Dresen (wer sich über die Arbeit dieses DDR-Regisseurs in Wien mokiert, sollte öfter in seine Inszenierungen gehen) hat ein Stück exakter, auch phantasievoller und intelligenter Regiearbeit abgeliefert. Gewiß fehlt dieser Dreigroschenoper die Schärfe, die Aggressivität, hätte die in einem Zelt neben der Bühne sitzende Kapelle unter Kurt Werner mehr Brecht-Ton bringen können, doch frage ich mich, ob das dem Regiekonzept der Lichtgirlanden im Zuschauerraum (Ausstattung: Matthias Kralj), das wiederum nicht zuletzt auf den Möglichkeiten der Darsteller aufbaut, entsprochen hätte. Ob nicht s o mehr Einheitlichkeit erreicht wurde.

Auch Heinrich Schweiger als Macheath realisiert eine Möglichkeit abseits, genau: weit südlich des Gehabten, einen weicheren, in der Brutalität dumpferen, aber präzisen Mackie. Mit den Bandenmitgliedern (Aufzählung sei erlassen) kann man völlig, mit dem Tiger-Brown vonBruno Dallansky mit etwas Nachsicht zufrieden sein. Robert Meyer als Moritatensänger empfiehlt sich als Stütze etwaiger Brecht-Projekte. Mit einigem bin ich ganz und gar nicht einverstanden. Gertraud Jesserer als Polly ist, weil zu weich und zu lieb, eine Fehlbesetzung. Judith Holzmeister als Frau Peachum ist in den Songs großartig, im Spiel bietet sie das Kabinettstück einer Volltrunkenen, genau das hätte die Regie nicht von ihr fordern sollen. Leicht daneben auch Blanche Aubry als exaltierte Spelunken-Jenny. Der total vertrottelte Pastor (Paul Hörbiger) könnte das Resultat eines Mißbehagens sein, einen Geistlichen als hellwaches Individuum sich mit den Gangstern gemeinmachen zu lassen, aber Brecht hat's so geschrieben und der Christ hätte es ausgehalten. Übrigens - G. W. Papst fand in seinem Dreigroschen-Film die Angst als Schlüssel zum Verstehen dieser Figur.

Und in diesem Film aus dem Jahr 1931, mit dem Brecht einmal einverstanden war und dann wieder nicht, liegt noch immer der Schlüssel für die Auffrischung der Dreigroschenoper auf der Bühne - falls es die unerbittlichen Gralshüter des Brecht-Erbes erlauben, die das Recht des freien Herumfuhrwerkens in fremden Werken, das Brecht stets für sich in Anspruch nahm, niemandem zugestehen, wo es um seine Werke geht.

Die Dreigroschenoper wurde bekanntlich unter Zeitdruck fertiggestellt. Ihr Happy-End mit dem reitenden Boten des Königs orientiert sich an John Gay. G. W. Papst, der ein Mann mit großem Scharfblick war, erkannte die Möglichkeiten der Handlung. Im Film gibt's keinen reitenden Boten des Königs und keinen doppelten Verrat, dafür die Heimkehr nach London - wo Polly eine Bank gegründet hat. Im Film stellt nicht Mackie, sondern Polly die berühmte Frage, was das Ausrauben einer Bank denn schon sei gegen die Gründung einer Bank. Und: Im Film verbrüdern sich, während, „und die einen sind im Dunkel, und die anderen sind im Licht“, die von der Polizei niedergeknüppelten Bettler abgehen, der endgültig ins Bankfach übergewechselte Macheath mit dem abgehalfterten Brown und Peachum, dem ärmsten Mann von London, der auch noch einiges zu bieten hat: „Und so kommt zum guten Ende alles unter einen Hut - ist das nötige Geld vorhanden, ist das Ende meistens gut.“

Das wäre wohl genug, um auch heute noch als scharf empfunden zu werden. Manchem vielleicht zu scharf. Aber ist es nicht wahr? Ich weiß, warum ich Aufführungen dieses Werks unbefriedigt verlasse, selbst dann, wenn ich RegieundDarstellernnichts vorwerfen kann. Quell der Frustration ist der Vergleich eines unter Zeitdruck fertiggestellten Stückes mit einem gleichnamigen Film mit messerscharf zu Ende gedachtem Schluß.

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