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„7 Todsünden” - reduziert auf eine

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„Die sieben Todsünden der Kleinbürger”, das Ballett von Bertolt Brecht und Kurt Weill, ist nicht leicht zu choreographieren. Und es ist sicher nicht nur leichter, sondern auch in mancher Beziehung reizvoller, es zu demontieren, zu „denunzieren”. Brecht bei einem seiner beiden schwachen Punkte zu packen und zu Fall zu bringen. Der eine ist die Ideologie - dort, wo sie Brecht dazu führte, im propagandistischen Overkill den Umschlag von Humanität in Antihumanität zu übersehen (Musterbeispiel: „Die Maßnahme”). Der andere schwache Punkt ist Brechts hinter allen Bemäntelungen hervorlugender Maskulinismus. Die Entsprechungen zwischen Macheath („ … und er hängte seinen Hut an den Nagel in meiner Kammer, und ich wußte nicht mehr, was ich tat…”), Surabaya-Johnny & Co. und dem Autor waren bekanntlich sehr groß.

Pina Bausch, die mit dem von ihr geleiteten Wuppertaler Tanztheater in Wien gastierte, geht die Entlarvung Brechts mit aufgekrempelten Ärmeln und zeitgemäßen Mitteln an, das heißt: mit den eindeutigsten, die man sich vorstellen kann. Solcherweise aber schlägt die Entlarvung ins Gegenteil um, in eine negativ-kulinarische Ausschlachtung der „7 Todsünden” und (im zweiten Teil des Abends unter dem Motto „Fürchtet euch nicht”) diverser Songs. Was bei Brecht und Weill ein Motiv war, das Sexuelle, wird hier zum einzigen, alles andere, vom Mitleid angefangen, fliegt über Bord.

Würden Obszönität und Krudität heute aus dem Rahmen fallen, könnten diese Mittel wirklich Erstaunen, Erschrecken hervorrufen, wär’s vielleicht möglich, auf diesem Wege Brecht zu entlarven. Einen bestimmten Brecht. So aber ist Brecht nicht mehr als ein Vorwand, im Strom zu schwimmen und genau das zu tun, was so viele männliche Regisseure tun — „es” auf die Bühne zu bringen, auf der Bühne geschehen zu lassen, und weibliche Darsteller damit zu erniedrigen. Pina Bausch zeigt, daß das eine Frau auch nicht schlechter kann.

Womit die Choreographin nicht Örecht, sondern sich selbst entlarvt hätte - als Unterdrückerin der Frauen in ihrem Ensemble. Auch wenn sie sich freiwillig dafür hergaben. Was muß eine Schauspielerin nicht alles völlig freiwillig und gerne tun, um etwas zu werden.

Zu einer Entlarvung Brechts hätte es einer größeren intellektuellen und künstlerischen Kapazität bedurft - oder eines geringeren Maßes an modischem Regie-Opportunismus.

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