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Das Prinzip Freiheit

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Die Widersprüchlichkeit im Charakter Bertolt Brechts, im Verhältnis von Theorie und Werk, scheint unlösbar. Die Brecht-Literatur, die heute schon einen Bücherschrank füllt, hat die zahlreichen dunklen Stellen nicht aufzuhellen vermocht. Niemand weiß, was Brecht wirklich dachte. Falls seine unter strengem Verschluß gehaltenen Tage- und Arbeitsbücher und die Korrespondenz nicht eines Tages Aufklärung bringen, bleibt der Fall Brecht unheimlich und rätselhaft wie bisher. Und die Enttäuschung über den Menschen und Dichter Brecht und dessen Verhältnis zur Wahrheit wird nie geringer werden.

Im Zusammenhang mit seiner seinerzeitigen Bewerbung um die Österreichische Staatsbürgerschaft schrieb Brecht am 20. April 1949, daß er bei seinem künftigem Schaffen in erster Linie an die Salzburger Festspiele und das Wiener Burgtheater denke. Und dann heißt es in dem Briefentwurf wörtlich: „Ich betone, daß ich mich nur als Dichter fühle und keiner bestimmten politischen Ideologie dienen oder gar als deren Exponent ausgegeben werden möchte.“ Aber nach dem Juni-Aufstand 1953 in Ost-

Berlin sandte Brecht, der inzwischen zum österreichischen Papierbürger geworden war, für den es nie versperrte Grenzen und eingezogene Pässe gab, seine berüchtigte Ergebenheitsadresse an die SED. Freiwillig, aus Überzeugung und mit voller Überlegung verfaßte er seine literarisch belanglosen „Loblieder“ (wie er sie selbst nannte) auf die Partei, auf Stalin, auf die Moskauer Metro, auf Mitschurin usw. Man hat das als partielle Dummheit einer genialischen Natur zu entschuldigen versucht. Aber war denn Brecht je glaubwürdig?

Nun spielen sie ihn in Wien, und jedes lahr soll ein anderes Werk von ihm in den Spielplan aufgenommen werden. Soll man ihn denn spielen? Und ob! Schon um des Prinzips Freiheit, um der Auseinandersetzung willen. Dann wird sich zeigen, daß man Brecht im Westen, also auch in Wien, „spielend“ verdaut. Denn das Publikum von heute — und das im Westen wie im Osten — ist längst nicht mehr bereit, das Theater als „Stätte der Entscheidung“ im Brecht-schen Sinne anzusehen, wo die Vorbedingungen zu einer Änderung der Welt zu schaffen wären.

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