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Der schwierige Bert Brecht

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Die Schwierigkeiten, die sich vor — sagen wir — zwanzig Jahren der Realisierung und Verbreitung der Stücke von Bert Brecht in Österreich und im bundesdeutschen Westen entgegenstellten, waren zwar beträchtlich, aber vor allem politischer Natur. Heutzutage sind die Schwierigkeiten nicht geringer geworden, aber sie liegen nicht so offen zutage. Politische Vorbehalte zählen nicht mehr, und in künstlerischer Hinsicht gehört es zur selbstverständlichen Pflichtübung jeder größeren Bühne, möglichst einmal jährlich ihrem Brecht-Soll zu genügen.

Was bei der Brecht-Pflege unserer Tage Probleme aufwirft, ist das Dilemma, daß der zeitliche Abstand zum Stückeschreiber gleichzeitig zu groß und zu gering ist. Zu gering deshalb, weil Brecht noch nicht zum Klassiker erklärt werden kann, und. zu groß, weil die buchstabentreue Beobachtung seiner Aufführungsmodelle steril wirken müßte. Hätten wir größere Distanz zu ihm und seinem Werk, so wäre eine schöpferische (wenngleich nicht verfälschende) Interpretation nicht nur möglich, sondern erwünscht. Anderseits besteht aber doch nicht mehr jenes zeitliche Nahverhältnis, das den künstlerischen Respekt vor den „Modellbüchern“ des Berliner Ensembles ernstlich rechtfertigen könnte.

Diesem Zwiespalt sehen sich heute alle Regisseure gegenüber, die an eine Neuinszenierung eines Brecht-Stückes herangehen, für das genaue Beschreibungen des „Modells“ vorliegen. Mit der „Mutter Courage“ ist die Sache deshalb so kompliziert, weil es einerseits nicht einfach ein Stück gegen den Krieg ist; es ist vielmehr ein Stück gegen eine Gesellschaftsordnung, die auf Grund ihres merkantilen Wesens Kriege ermöglicht, ja sie notwendig braucht. Und weil die Naivität, mit der der Autor' und der Regisseur Brecht sich von der „Abbildung der Wirklichkeit“ eine „Einflußnahme“ (des den Vorgang betrachtenden Zuschauers) „auf die Wirklichkeit“ erwartet, heute nur noch als zwar vielleicht liebenswerte, aber doch museale Verschrobenheit gesehen wird. Zum anderen wäre es ein leichtes, die menschliche Tragödie der „Mutter Courage“ stärker zu betonen und damit natürlich „Einfühlung“ zu wecken und nicht „Kritik“, hätte Brecht nicht mit besonderer Hartnäckigkeit gerade die Heroisierung der Titelfigur verpönt

Kein Wunder also, daß auch eine bemühte Inszenierung wie die von Günter Tabor im Grazer Schauspielhaus mehr als zwiespältig ist. Der Regisseur konnte sich — verständlicherweise — vom „Modell“ des Berliner Ensembles nicht freimachen, versuchte aber, durch verschiedene Details Emotion stärker als vorgesehen aufkommen zu lassen. Die einzelnen Arrangements hatten recht unterschiedliche Qualität — wobei ein gewisser dialektbeflissener Provinzialismus nicht ganz vermieden wurde — und die formalistische Art, wie Günter Tabor einen „Chronisten“ im Rollkragenpullover Verfremdung üben ließ (mit Windmaschine und Regensieb), wirkte einigermaßen läppisch. Die beliebte Grazer Schauspielerin Gertt Poll trifft viele von den Zügen der „Courage“ recht gut aus ihrem mimischen Instinkt heraus, ist aber im ganzen dieser schwierigen Figur heute noch nicht gewachsen.

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