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Berlin gab sich „progressiv“

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Seitdem die Berliner-Festwochen-Verantwortlichen vor einigen Jahren aus verschiedenen Gründen das sogenannte „Theatertreffen“, bei dem alljährlich auswärtige und ausländische Bühnen in den Musentempeln an der Spree mit ihren jüngsten und interessantesten Schauspielschöpfungen zu Wort kommen, in die frühlingshaften Maitage verlegten, hat der Sektor „Sprechtheater“ bei den herbstlichen Berliner Festwochen einiges an Attraktivität verloren. Gastspiele fremder Ensembles sind jetzt verhältnismäßig dünn gesät, und die Produktionen der heimischen Bühnen sind eher auf ein normales Repertoireprogramm als auf die Kreation fest-wöchentlicher Gustostückerln aus den verschiedensten Epochen der Theaterliteratur abgestimmt.

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Seitdem die Berliner-Festwochen-Verantwortlichen vor einigen Jahren aus verschiedenen Gründen das sogenannte „Theatertreffen“, bei dem alljährlich auswärtige und ausländische Bühnen in den Musentempeln an der Spree mit ihren jüngsten und interessantesten Schauspielschöpfungen zu Wort kommen, in die frühlingshaften Maitage verlegten, hat der Sektor „Sprechtheater“ bei den herbstlichen Berliner Festwochen einiges an Attraktivität verloren. Gastspiele fremder Ensembles sind jetzt verhältnismäßig dünn gesät, und die Produktionen der heimischen Bühnen sind eher auf ein normales Repertoireprogramm als auf die Kreation fest-wöchentlicher Gustostückerln aus den verschiedensten Epochen der Theaterliteratur abgestimmt.

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Wohl werden in diesem Zeitraum an den verschiedenen Häusern meist eine oder gar zwei Neuinszenierungen herausgebracht, die heuer jedoch bis auf wenige Ausnahmen weder von der Thematik noch von der Interpretation her einen besonderen Eindruck hinterließen. Zwar wurde Bertolt Brecht gleich in mehreren Häusern demonstrativ auf den Schild gehoben, aber der Widerhall blieb relativ schwach. Hausherr Frank Lothar hatte in der literarisch stets recht ambitionierten „tribüne“ den vor 40 Jahren verstoßenen Brecht-Bastard „Happy end“ — Brecht ließ schon damals dieses triviale Chikagoer Gangsterspektakel nur verschämt unter dem Pseudonym Dorothy Lane über die Bretter gehen — ausgegraben (worüber an dieser Stelle bereits berichtet wurde).

Da stiegen die Mannen des in der westlichen Hemisphäre ersten deutschsprachigen Theaterkollektivs, das sich in der Schaubühne am Hal-leschen Ufer um Peter Stein geschart hat, schon kräftiger in das von kommunistischen Doktrinen und Weltbeglückungsphrasen durchflochtene literarische Geschirr Bert Brechts. Das in proletarischer Einheitstönung ihrer grauen Leder- und Wolljacken einherstampfende Ensemble demonstrierte in „Mutter“ revolutionäre russische Taktik aus den ersten beiden Dezennien unseres Jahrhunderts samt ihrer durch Zitate von Lenin und Gorki angereicherten Ideologie. Therese Giehse war die zentrale Figur der Aufführung dieses Lehrstückes zur Vorbereitung der Weltrevolution. Nicht nur, weil es das Konzept Brechts so vorschreibt, sondern weil die menschliche Persönlichkeit dieser Frau die schlaffen Adern dieser szenisch aufgemöbelten PoMt-Agitation mit wirklichem, prallem Leben füllte. Das Publikum folgte den Vorgängen auf der Bühne dieses nur wenige hundert Meter von der Schicksalsmauer Berlins angesiedelten Theaters überwiegend mit distanzierten und gemischten Gefühlen, bei denen dann doch wohl die Anerkennung für den gebotenen schauspielerischen Impetus der sich namenlos gebärdenden Gruppe Vorrang hatte.

„Der unaufhaltsame Abstieg des Rolf Hochhuth“, wie es ein Berliner Kritikerkollege in Abwandlung des ßrechtschen Stückes von Arturo Ui bissig-treffend formulierte, hat mit der Inszenierung seiner „Guerillas“ durch Jörg Utzerath an der Freien Volksbühne einen neuerlichen Tiefpunkt erreicht Wie schon bei seinen „Soldaten“ und auch dem „Stellvertreter“ will Hochhuth auf eine oft unter der Oberfläche unserer Gesellschaft schwellende Glut hinweisen, sie anprangern, Aufklärung geben. Aber er tut dies mit den journalistischen Findigkeiten eines Schriftstellers, in einer Reportage, die leider allzuoft in Kolportage abgleitet, jedoch nicht mit den tieferlotenden Mitteln und Möglichkeiten eines Dichters. In dem Eifer für seine auf Hintergrundeffekte bedachte Historienmalerei, die er mit der verbissenen Emsigkeit eines Gelehrten betreibt, vergißt er im Gegensatz zu seinem geheimen Vorbild Brecht, daß Theater letzten Endes lebendige, dramatische Aktion und Handlung bedeutet.

Regisseur Utzerath hat nun gut fünf Sechstel des Hochhutschen Textes gestrichen, umgewandelt, um aus Kommentaren und Reflexionen ein auf zwei Stunden komprimiertes Bühnenstück zu kondensieren. Durch die oft aus dem Zusammenhang herausgerissenen Szenen aber wird der Ablauf noch unverständlicher. Der unterschwellig-demagogische Aufputz aber, den Utzerath in blutrünstig aufputschenden Filmprojektionen — die Bilder aus dem Schlachthof sind dabei besonders an den Haaren herbeigezogen — darüberstreut, wirkt eher abstoßend und ermüdend, als daß er die dramatische Blutleere der Hochhuthschen Story ,von der geheimen Verschwörung hoher US-Politiker und Funktionäre gegen die derzeitige Machtkonstellation in ihrem eigenen Staat mit Leben auffüllt. Überdies konnte man sich nicht einmal für irgendeine schauspielerische Charakterisierung erwärmen. Betretenes Schweigen und allgemeines Kopfschütteln waren das Fazit dieses verlorenen Abends. Da blitzte doch wenigstens in der problematischen und uneinheitlichen Inszenierung des Shakespeare-Dramas „König Heinrich IV.“ durch Ernst Schröder im Schiller-Theater zum Festwochenschluß noch hie und da ein theatralischer Funke auf, den vor allem der prächtige Martin Held als Falstaff mit allen Mitteln zu schüren suchte.

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