"Ein Asyl, also ein Pass"

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Der Salzburger Totentanz des österreichischen Staatsbürgers Bertolt Brecht.

Kaum hatte am 1. April 1949 das Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands höchstselbst die Gründung eines eigenen Schauspielerensembles für Helene Weigel und Bertolt Brecht im Osten Berlins beschlossen, suchte der staatenlose, in Zürich untergekommene B. B. beim Salzburger Landeshauptmann Josef Rehrl (övp) um die österreichische Staatsbürgerschaft an. Die Gründe hierfür erläuterte er Gottfried von Einem: "... wir haben über das Festspiel gesprochen und es sieht so aus, als ob das ginge. Ich weiß jetzt auch ein Äquivalent, mehr für mich wert als Vorschuß irgendwelcher Art; das wäre ein Asyl, also ein Paß. [...] Ich kann mich ja nicht in irgendeinen Teil Deutschlands setzen und damit für den andern Teil tot sein."

Das "Festspiel" hatte der Komponist, der als Mitglied des Direktoriums der Festspiele in Salzburg (Mönchsberg 17) wohnte, zuvor bei einem Treffen in Zürich angeregt: Brecht möge doch einen "Gegenentwurf" zu Hofmannsthals seit 1920 vor dem Dom gespielten Jedermann verfassen. Zugleich hatte er B. B. jede erdenkliche Unterstützung beim Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft zugesichert.

Brecht und Österreich

Von Einem war es auch, der die Begründung des Antrags an die Landesregierung weiterleitete, in der Brecht erklärte: "Meine Sehnsucht nach Österreich ist keineswegs auf äußere Momente zurückzuführen, sondern damit zu erklären, daß ich, nunmehr über 50 Jahre alt, in einem Lande geistig arbeiten möchte, welches die entsprechende Atmosphäre dazu bietet. Das ist Österreich." Zuweilen erfordert auch die List, sich gegenüber der Realität blind zu stellen.

Bereits einen Monat später erhielt B. B. während eines Salzburgbesuchs eine österreichische Aufenthaltserlaubnis, sein ständiger Wohnsitz: "Mönchsberg 17" (siehe Faksimile des Meldescheins). In einem weiteren Brief in Sachen Staatsbürgerschaft unter dieser Adresse heißt es: "Meine Stücke wurden in den letzten zwei Jahren schon in Wien aufgeführt [...]. Außerdem plane ich für die Salzburger Festspiele ein Festspiel Der Salzburger Totentanz." Um Zweifel offizieller Seite an der Ernsthaftigkeit des Vorhabens auszuräumen, fasste er von Einem gegenüber den Plot zusammen: "Kontrakt des Kaisers mit dem Tod, im kommenden Krieg die Opfer zu begrenzen und ihn und seine Nächsten zu verschonen, wenn sie das vereinbarte Zeichen machten, Vergessen des Zeichens durch den vielbeschäftigten Tod. Moral: mit dem Tod kann man keine Geschäfte machen."

Wieweit das Spiel zu diesem Zeitpunkt gediehen war, ist unklar: Für seinen Salzburg-Plan konnte er auf frühere Rohentwürfe eines Stücks mit dem Arbeitstitel Der Tod von Basel zurückgreifen, das er zunächst durch die Einführung von Bauarbeitern, also eine "Perspektive von unten", modifizierte. Zum Jedermann sollte es die Gegenthese bilden. Ausgearbeitet ist eine Rede des Todes an den Kaiser, in der der Tod sich beklagt: "Als mich dereinst der Herr bestellt / Daß ich ein Wechsel bring in die Welt / Sollten sein vor mir alle Menschen gleich / Da war nit die Red von Arm und Reich / Und daß mir einer, der mir gefällt / Vor die Nas' einen Beutel mit Talern hält / So daß ich nicht mehr an ihn kann." Insgesamt ist der in Knittelversen geplante Salzburger Totentanz ein Torso geblieben.

Wohnsitz Ostberlin

Danach sah es in der zweiten Hälfte des Jahres 1949 nicht aus. B. B. - Ost-Berlin, Berliner Allee 190, lautete inzwischen seine Adresse, die brd und die ddr hatten sich als eigenständige Staaten konstituiert - hielt es nämlich für notwendig, seine Salzburgaktivitäten zu verstärken, nachdem Die Presse, den allgemein herrschenden Antikommunismus bedienend und der besonderen Wiener Brecht-Allergie Rechnung tragend, am 6. August das Unterrichtsministerium, die für die Einbürgerung Brechts zuständige Behörde, glaubte, darauf hinweisen zu müssen, er sei "als Theaterleiter im Sowjetsektor Berlins" engagiert.

Auch deshalb wanderte er Ende August/Anfang September 1949 über die Salzburger Plätze auf der Suche nach einem Aufführungsort für den "Gegen-Jedermann". Der Hof im Kolleg Sankt Benedikt schien ihm dafür am besten geeignet. Das Publikum sollte in dessen Mitte auf Drehstühlen sitzen, um die Aufführung rundherum verfolgen zu können. Auch eine erste Liste mit Schauspielern erstellte er: Helene Weigel, Fritz Kortner, Peter Lorre, Karl Paryla und Rudolf Forster hießen die Wunschkandidaten. Daneben traf er den Landeshauptmann wegen seiner Staatsbürgerschaft ("der Landeshauptmann war reizend und versprach in der Papierangelegenheit usw. jede Hilfe").

Wessen Intervention auch immer den Ausschlag gab: Nachdem der österreichische Ministerrat am 28. März 1950 bestätigt hatte, es läge im staatlichen Interesse, wenn B. B. Österreicher sei, wurde am 12. April die Urkunde ausgestellt, die Helene Weigel und Bertolt Brecht die österreichische Staatsbürgerschaft zuerkennt. Nachdem die Urkunde ihren Weg nach Ostberlin gefunden hat, galten B. B. und seine Frau "polizeilich als Doppelstaatler 1)Deutschland, 2) Österreich".

Die Kampagne in Salzburg

B. B. dankte von Einem für die Unterstützung: "Wenn ich den Paß habe, werde ich über einen Sonntag nach Salzburg kommen, Ihnen als Landsmann die Hand zu schütteln. Dann könnten wir die Salzburger Festspielpläne besprechen."

Auch als unvollendetes lösten das Stück wie die österreichische Staatsangehörigkeit seines Urhebers eine Kampagne gegen Gottfried von Einem aus. Am 13. Oktober 1951 starteten die Salzburger Nachrichten die "Affäre Brecht" mit einem Artikel, in dem von Einem als der "Schuldige" für dessen Einbürgerung identifiziert wird. "Ob man nicht jetzt doch den Festspielausschuß von Einem oder dem anderen säubern müßte?"

Vierzehn Tage später tagte das Kuratorium der Salzburger Festspiele: der neue Landeshauptmann Josef Klaus (ebenfalls övp) witterte in Gottfried von Einem wegen seines Eintretens für Brecht und dessen Stücke einen Sympathisanten bei der kommunistischen Unterwanderung der Festspiele. Die Folge: Er wurde aus dem Direktorium ausgeschlossen. Brecht, der Auslöser der Turbulenzen, telegraphierte von Einem - er verstand dies allen Ernstes als Hilfe für den Angegriffenen: "Anbiete für Festspiele Lukullus und Kreidekreis."

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