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Schwejk in vielerlei Gestalt

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Während seiner letzten Lebensjahre wurden einige Aussprüche Brechts kolportiert, die ein fleißiger Student vielleicht auch als Zitate in Brechts Werken finden mag. Im Hinblick auf seine gegenwärtigen und künftigen Interpreten sagte er einmal: „Wen immer ihr sucht, mich werdet ihr nicht finden.“ Und mit Bezug auf seine volksdemokratischen Bewunderer und Gönner: „An mir haben sie einen, auf den sie sich nicht verlassen können.“ Diese Vieldeutigkeit hat, neben dem Range des Lyrikers und Dramatikers eine umfangreiche Brecht-Literatur angeregt, die heute bereits eine kleine Bibliothek füllt. Das jüngst erschienene Brecht-Buch von Thomas Otto Brandt ist deshalb so ergiebig, weil sich der Autor w- übrigens aus Wien stammend, 1938 emigriert und während der Drucklegung als Collegeprofessor in den USA gestorben — von vornherein auf vier Themen beschränkt: Brecht und die Bibel, das Amerikabild Brechts, Sprache und Sprachführung und Perspektiven der Vieldeutigkeit.

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Während seiner letzten Lebensjahre wurden einige Aussprüche Brechts kolportiert, die ein fleißiger Student vielleicht auch als Zitate in Brechts Werken finden mag. Im Hinblick auf seine gegenwärtigen und künftigen Interpreten sagte er einmal: „Wen immer ihr sucht, mich werdet ihr nicht finden.“ Und mit Bezug auf seine volksdemokratischen Bewunderer und Gönner: „An mir haben sie einen, auf den sie sich nicht verlassen können.“ Diese Vieldeutigkeit hat, neben dem Range des Lyrikers und Dramatikers eine umfangreiche Brecht-Literatur angeregt, die heute bereits eine kleine Bibliothek füllt. Das jüngst erschienene Brecht-Buch von Thomas Otto Brandt ist deshalb so ergiebig, weil sich der Autor w- übrigens aus Wien stammend, 1938 emigriert und während der Drucklegung als Collegeprofessor in den USA gestorben — von vornherein auf vier Themen beschränkt: Brecht und die Bibel, das Amerikabild Brechts, Sprache und Sprachführung und Perspektiven der Vieldeutigkeit.

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Wer das Werk Brechts auch nur flüchtig kennt, dem wird, was seine Diktion betrifft, die Abhängigkeit von der Sprache der Luther-Bibel aufgefallen sein. Zum Inhalt der Bibel hatte Brecht ein tiefes, ablehnendes Verhältnis, so daß seine Antwort, die er 1928 auf die kokette Turandot-Frage der Zeitschrift „Die Dame“ nach dem „stärksten Eindruck“ gab verständlich wird. Die typisch „brechtisch“ formulierte lakonische Auskunft lautete: „Sie werden lachen: die Bibel“. Hier seien auch gleich die Anklänge an die Choräle der Lutherischen Kirche und an die Sprache des Pietismus erwähnt: von den Psalmen und Mahagonny-Gesängen über die Travestie „Lobet die Nacht und die Finsternis, die euch umfangen“, den Dreigroschenchoral „Wach auf, du verrotteter Christ“ bis zu den Hitler-Chorälen von 1933. Die Travestie geht in der .Heiligen Johanna der Schlachthöfe“ bis zur Blasphemie, ebenso auch schon in der Dreigroschenoper, wo Brecht seinen Macheat sagen läßt: „Ich blickte ihn an und er weinte bitterlich. Den Trick habe ich aus der Bibel.“ Wenn es in der,. Sprache des Pietismus, beißt: „Eiwiefsüß ist ßoifts JV 4ut i oder von dem Fleischgroßhändler Pierpont Mauler gesagt wird, „daß er sich selbst erniedrigt hat und daher erhöhet wird'“ so bedient sich Brecht des vertrauten Bibeltones und Gestus als eines Vehikels in gegenläufiger Richtung. Bald pfiffig, bald furios, ist Brechts Auseinandersetzung mit der Bibel im Anfang gröber, später listenreicher, zuletzt von einer gewissen Toleranz gekennzeichnet.

Anders ist es mit Brechts Amerikabild bestellt. Angefangen von dem Frühwerk „Im Dickicht der Städte“ über „Mahagonny“, „Die heilige Johanna“ und „Die sieben Todsünden“ hat Brecht viele seiner Stücke in einem teils mythischen, teils abstrakten Amerika angesiedelt. Es diente ihm zur Demonstration negativer Zivilisationserscheinungen und zur Projektion sowie zur Verdeutlichung der Gegenwartsverhaltnisse in einer vereinfachten Welt, in der man jede Konstruktion vornehmen kann. Dieses ' Amerika entsprach Brechts „geometrischem“ und antithetischem Weltbild. Hier fand er Pioniertum neben der Entrechtung der Indianer und Neger, Goldrausch in mit dem Lineal gezogenen Straßen, Nummern statt Namen, provokanten Reichtum neben bitterster Armut, Schwarz und Weiß im Gegensatz, Kapitalismus und Ausbeutung, Gangstertum und Sonntagsschule. Hier konnte sich Brecht, der als Denker zuweilen ein Terrible simplificateur war, bestätigt fühlen. Nur geschah es ihm, zu seinem und unserem Glück, immer wieder, daß der Dichter dem Systematiker ins Handwerk pfuschte. Obwohl Brecht in Amerika einige harte Jahre verlebte, hat er sich nach seiner Ruckkehr über die Vereinigten Staaten, die er vorher nicht kannte, kaum mehr geäußert, so daß wir annehmen können, daß sein vorwiegend negatives, rein theoretisches Amerikabild durch die Praxis korrigiert wurde.

Viel zitiert und gegen ihn ausgespielt wurden jene vier Zeilen, die Brecht nach dem Aufstand der deutschen Arbeiter am 21. Juni 1953 im Neuen Deutschland veröffentlichen ließ. Aber sie sind, wie wir heute wissen, nur die Schlußphrase eines längeren Briefes. Zur gleichen Zeit schrieb Brecht das weniger bekannte Gedicht: „Nach dem Aufstand des 17. Juni“ mit den Schlußzeilen: „Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“ Bekannt und gefürchtet“ 'war auch Brechts ahsgeluchteflrchkeit, die als zweischneidig empfunden wurde, ebenso seine mitleidsvolle Nachsicht gegenüber Frauen und Schauspielern, die er offenbar nicht unter die denkenden Wesen zählte.

Brechts Werk wimmelt von zweideutigen Sentenzen, Richtigstellungen, Beteuerungen und Inversionen allgemein akzeptierter Weisheitssprüche und Lebenslehren, etwa von der Art, daß er zwischen die Worte: „Der Mensch denkt: Gott lenkt“ einen Doppelpunkt setzt und hierdurch eine Reversion und Ironisierung des ursprünglichen Sinnes erreicht. Bekanntlich hat Brecht viele seiner eigenen Meinungen und Ermahnungen dem Herrn Keuner in den Mund gelegt. Als man diesem den Vorwurf mangelnder Standfestigkeit machte, sagte er: „Ich habe kein Rückgrat zum Zerschlagen. Gerade ich muß länger leben als die Gewalt.“ Das ist Schwejk, der sich hinter einer cartesianischen Maske verbirgt.

Eine Maske hat Brecht zeit seines Lebens getragen. Dahinter entwik-kelte er sich vom jugendlichen Anarchisten und Individualisten zum aggressiven Zyniker, der in späteren Jahren dem sozialen Lehrmeister Platz machte. Am Ende steht der große Stückeschreiber und der freundliche Weise.

Eines seiner letzten und besten Worte lautet: „Keinen verderben lassen, auch nicht sich selber. Jedem sein Glück erfüllen, auch sich, das ist gut!“

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