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Brecht als Gesprächspartner für Christen

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Brecht nannte, boshaft-charmant, den Wind einen Katholiken: weil sich der noch um Zusammenhänge bemühe. Und wenn das um Zusammenhänge bemühte theologische, nicht bloß katholische Interesse an der Literatur von einem neuen Wind erfrischt wird, ist das Verhältnis der Theologen zu den Dichtern gewiß nicht mehr jene windige Sache, die sie ehedem war, als das christliche Bewußtsein noch vom hohen Roß selbstherrlichen Wahrheitsbesitzes auf den Schriftsteller herniederblickte und ihm mit Hilfe von Zensur und Index auf die Finger sah und klopfte.

Der sogenannte Dialog zwischen Literatur und Theologie hat immerhin eine neue Standortbestimmung erbracht: Der Dichter ist nicht mehr das wilde Tier, das es zu bändigen gilt, sondern der ernstgenommene Partner, der etwas zu sagen hat. Dichter und Theologen, engagiert an der gleichen Sache, wenn auch mit unterschiedlichen Mitteln: Hie mit dem explizit reflektierenden Wort, ,das um nichts Geringeres bemüht ist als um die Erhellung der Wahrheit - und hie mit dem schöpferischen Wort, das nichts Geringeres impliziert als das Bemühen der Reflexion.

Bis auf ein paar diskrete Ausnahmen ist allerdings die neue Phase der theologischen Literaturbetrachtung kaum über die Formulierung von Theorien und Programmen hinausgekommen. Mangel herrscht immer noch an der Anwendung der Theorie, an ihrer Durchführung am konkreten Gegenstand. So gesehen ist es wichtige Aufholarbeit, die Hans Pabst mit seinem dreihundert Seiten starken Buch „Brecht und die Religion“ leistet.

Papsts Brecht-Interpretationen, die vom Christentum her mit dem theologischen Vokabular einen Zugang zum Verständnis der Brechttexte und zu ihrem Selbstverständnis eröffnen, unterscheiden sich wohltuend von jener tendenziös apologetischen „Kritik“, die sich gar nicht einließ auf kritische Auseinandersetzungen, sondern letztlich auf die schlichte Feststellung beschränkte: das Christentum ist besser. Dem hält Pabst entgegen, „daß Brecht Grundweisen menschlicher Existenz darstellt, die christlichem Gedankengut nicht konträr gegenüberstehen, sondern vielleicht in der Theologie abhanden gekommen sind.“

Die Analyse ist streng textorientiert; sie interessiert lediglich, was bei Brecht dasteht, und ausschließlich dem widmet der Hermeneutiker Papst sein kommentierendes Engagement. Die Stärke des Buches wohnt im Detail: in den bemerkenswerten Interpretationen zu den (mit großer Akribie gesammelten und systematisch geordneten) Texten aus Brechts Gesamtwerk. Pabst fiel viel ein zu Brecht. Die passablen Einzelanalysen stecken allerdings in einem theoretischen Rahmen, der weit weniger' Uberzeugungskraft hat. Nicht nur die seltsam unerklärt bleibenden Prämissen Pabsts (wie „Gottesbild“ oder „Funktion“) oder die Abwesenheit von religionssoziologischen Fragestellungen, die um so mehr auffällt, als es sich beim untersuchten Phänomen immerhin um die Funktion von Gottesbildern für das Leben und das konkrete Verhalten von Menschen handelt, lassen Papsts theoretische Passagen nicht das gleiche Niveau halten wie die Einzelanalysen. Schon die Grundthese, „daß die Aussagen Brechts über Gott eigentlich Aussagen über Gottesbilder und im besonderen über deren Funktion sind“, die Pabst eingangs aufstellt, um sie in der Folge zu erhärten, ist nicht frei von der verpönten Immunisierungsstrategie gegen Kritik. Dennoch überwiegt die Fülle der Details das gewissermaßen akademisch Holprige: Dort, wo Pabst konkrete Brecht-Texte erläutert, ist er plastisch, anschaulich und lebendig.

Bert Brecht, ein genialer Verwalter des deutschen Predigererbes, der auf die Frage nach seiner Lieblingslektüre einmal erwiderte: „Sie werden lachen: die Bibel!“, wird durch die Studie Papsts sozusagen aus dem dämonologi-schen Gefängnis befreit und wird dennoch nicht christlich vereinnahmt. Die Kritik ist mündig, nicht bevormundend. Und daß ihre Einsichten nicht Sache von Spezialisten bleiben, bleibt zu wünschen. Daß beispielsweise Generationen von Kaplänen in ihren Predigten, sobald die Rede auf Literatur kommt, wenn überhaupt, ewig unverdrossen immer nur Camus einfällt, ist gewiß kein Wunder, aber es könnte sich ändern. Zum Beispiel dann, wenn mehr Bücher von der Art des Brecht-Buches von Hans Pabst geschrieben - und gelesen würden.

BRECHT UND DIE RELIGION. Von Hans Pabst. Styria-Verlag, Graz 1977, 303 Seiten, öS 280,-.

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