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Bert Brechts Hitler-Stück in Stuttgart

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So direkt und schonungslos wie in Bert Brechts Gangsterspektakel „Der unaufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ ist der Werdegang Hitlers niemals auf die Bühne projiziert worden, und so direkt wie in diesem Szenenbogen hat auch Bert Brecht niemals eine bestimmte historische Ereignisfolge fürs Theater adaptiert. Da heißt zwar das Deutsche Reich schlicht „die Stadt“, mit dem „Karfioltrust“ sind die preußischen Junker und mit „Cicero“ ist Oesterreich gemeint. Doch von dem ehrbaren, aber schwachen Mr. Dogsborough (wörtlich „Hundenburg“ — also Hindenburg) über den kollaborierenden Clark (von Papen) bis zu Roma (Röhm) und Giri (Göring) sind bis aufs Detail genau alle Personen und Ereignisse in unverblümter, zorniger Unmittelbarkeit auf die Bühne gestellt worden: die Papensche Minderheitsregierung, die Machtergreifung, der Reichstagsbrand und die Einverleibung Oesterreichs. Wie kaum ein anderes literarisches Werk enthüllt dieses parabolische Hitler-Porträt, das Brecht im Jahre 1941 niederschrieb, die wahren Triebkräfte der Hitlerschen Karriere: Ressentiment, entfesseltes Minderwertigkeitsgefühl und eine Angst, die sich in Jähzorn und Brutalität verwandelt, wenn sie nicht mehr gebändigt ist.

Merkwürdig, daß nach 1945 keine Bühne zu dieser historischen Groteskbiographie gegriffen hat. Damals, im haltlosen Taumel der Katastrophe, hätte sie heilsames Aergernis erregen können. Sicher hätten sich viele im Augenblick noch gegen dieses abgründige Gleichnis gesträubt (denn die Einsicht in das. eigentliche Un-Wesen Hitlers kam den meisten Deutschen erst im Laufe eines längeren Bewußtseinsprozesses); diese Gangsterstory aber hätte diesem Prozeß gedient.

Heute freilich hat diese leidenschaftliche Demaskie-rung eine mehrschichtige Wirkung. Einerseits empfindet man sie nicht mehr als Demaskierung, sondern nur noch als die Erinnerung an eine Demaskierung. Daß solche Gemahnungen ihren Sinn haben, sei nicht bezweifelt. Aber bei jenen Szenen, in welchen Vorgänge wie „Machtergreifung“, „Volksjustiz“ oder politische Erpressung vordemonstriert werden, und erst recht bei dem ermahnenden Epilog an die Adresse des Publikums entgeht man doch nicht dem peinlichen Bewußtsein, daß da von der Rampe herab „Haltet den Dieb!“ gerufen wird. Und vielleicht muß man hier an die tragische Ironie in der Biographie Bert Brechts selbst erinnern, daß seine leidenschaftliche, provozierende und anstachelnde Dichter-stimme genau in jenem Zeitpunkt verstummte, als er aus dem kapitalistischen Westen in sein gelobtes Land zog, dessen Machthaber dem Arturo Ui zwar nicht im Typ, aber doch in der politischen Praxis absolut gleichsehen.

Sehen wir aber nun von der Person Brechts ab (die bei jeder solchen Aufführung zur Debatte gestellt werden muß), so darf wiederum die Feststellung getroffen werden, daß „Arturo Ui“ als Stück genommen das moralischste Schauspiel Brechts ist. Hier spielt er nicht zugleich mit echter Münze und mit Falschgeld. Hier sind es nicht Gauner und Prostituierte, welche die sozialkritischen Wahrheiten aussprechen, sondern moralische Personen. Und hier legitimiert nicht der Besitz der „richtigen“ Ideologie zu Denunziation, Hinterhalt, Lüge, Mord, Menschenraub usW. Nein, hier ist die geknechtete Kreatur nichts wie reines Opfer; und es gilt ein einziges Maß für Recht und Unrecht. Selten konnte man daher dem Dichter sosehr eine echte Entrüstung glauben. Diese Eindeutigkeit der Brechtschen Gedanken und Erfindungen hat aber wiederum dem Werk künstlerisch Abbruch getan. Der Zorn Brechts fragte nicht mehr, ob das Wort zur Platitüde und das Sinnbild zum Abklatsch wurde. So gewann das Stück nur in wenigen Szenen (zum Beispiel in der ironischen Paraphrase der Gretchenfrage und in der Parallele zu „Richard III.“) wirkliche Tiefenwirkung.

Die Uraufführung am Württembergischen Staatsschauspiel lag bei dem Ost-Berliner Peter Palitzsch in Händen, die mit Brechts Stil wohl vertraut sind. Laß manches Detail zu sehr ins Agitatorische abfiel, war kaum zu übertuschen. Wolfgang Kieling gab dem Arturo Ui meisterhaft die Züge eines verstörten Größenwahnsinnigen.

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