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Demaskierende „Verkleidungen“

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DAS SPIEL VOM MEISTER SIEBENTOT UND WEITERE VERKLEIDUNGEN. Dramen. Brster Band. Von Albert D r a c h. Albert-L an(en-Georr.Müller-Verlai, München-Wien 1965. 264 Seiten.

Albert Drach war 62 Jahre alt, als sein Verlag ihn „entdeckte“ und mit der Publizierunig des Romans „Das große Protokoll gegen Zwetschkenbaum“ von heute auf morgen berühmt machte. Mit dem gleichen Interesse, das Kritiker und Leser dem ungewöhnlichen Buch entgegenbrachten, darf sicher auch der zweite Band der Gesammelten Werke des Autors rechnen, in dem vier Dramen vereinigt sind.

Das Skurrilspiel „Sowas“ ist eine hintergründige Persiflage, in der „die Kunst der Polizei“ ad absurdum geführt wird — nach zwei Mordfällen, die „gar nicht stattgefunden haben“, müssen die beiden untersuchenden Polizisten wirklich ihr Leben lassen, das heißt man ermordet sie. Ein phantastisches Spiel mit der Unzulänglichkeit des Denkens und Planens nach einem festgelegten Schema, ein Protest auch gegen die Dummheit, die hier Triumphe feiert, bis sie von der Gewalt besiegt wird.

Daß Drach keine hohe Meinung vom Menschen hat, zeigt sich auch in dem „Satansspiel vom göttlichen Marquis“. Episoden aus dem lasterhaften Leben des Marquis de Sade, der „das Böse nicht für böse hält“. Seine skrupellos-zynische Anpassung an die Revolution verschafft ihm auch nach 1789 die Möglichkeit, weiterhin zu vernichten und zu zerstören, bis ihn eine gute Tat zur Strecke bringt.

„Ich war so lange der Teufel, als es entsetzlich schien, böse zu sein. Ich wurde dafür belohnt, und das langweilte mich zuletzt. Ich beschloß, eine gute Handlung zu tun, als dies entsetzlich war. Man wird mich dafür bestrafen, und ich halte das nicht für falsch ...“

Das Ende eines wahren Satansspiels.

Am bedeutendsten sind zweifellos die beiden Stücke „Das Kasperlspiel vom Meister Siebentot“ und das Panoptikalspiel „Das I“, in denen Drach sich mit der jüngsten Vergangenheit auseinandersetzt. Im „Protokoll gegen Zwetschkenbaum“ stehen die Worte: „Ein Mann ohne Familienbindung, aus den dankbarsten und gebräuchlichsten Schlagwörtern geknetet, werde als Person-werdung der Massen diese, zum Block geschweißt, einem Weltbrand zuführen.“ Eben diesen Vorgang schildert er in großartig makabren Szenen in seinem „Siebentot“. Ein Wurstel, „mannsgroß und beweglich“, der alle Verrichtungen ausübt, die ein Mensch auch tut — „nur lieben kann er nicht“ —, verschreibt sich mit dem Blut der Umstehenden dem Teufel, verläßt die Schaubude und mischt sich unter die Menschen; hinfort nennt er sich Meister Siebentot. Und nun geschieht das, was der Schaubudenbesitzer schon vorher angekündigt hat, der Kasperl spricht alles nach, was er von den Leuten hört. „Was die Leute ausspucken, klaub ich auf und geb' es ihnen wieder zum Schlucken.“ Und diese aufgeklaubten Phrasen werden als Offenbarung aufgenommen, da sie ja genau das ausdrücken, was alle fühlen und wollen. „Ich ver spreche allen alles, das ist schon halb so gut, als ob sie's wirklich hätten. Und wenn sie dann der Sturm erwischt, dann können sie die andere Hälfte nicht mehr verlangen.“ So wird Kasperl bald zum „Führer“ der Masse, die er nach seiner Pfeife tanzen läßt, bis er sie ao weit hat, daß er allen den Kasperlhut aufsetzen kann. Nun sind sie auch für seine neue Moral reif: „Wer keinen Kasperlhut hat, wenn alle einen Kasperlhut haben, der hat keine Disziplin. Und wer keine Disziplin hat, der ist überhaupt kein Mensch.“ Sie merken auch gar nicht mehr, daß er aus ihrem Satz „Es kann aus einer Schande eine Ehre werden, wenn eine neue Mode aufkommt oder bloß eine neue Maral“ eine vollendete Tatsache gemacht hat, die nun so aussieht: „Ich habe aus der Schande eine Ehre gemacht, weg mit der Moral...“

Der Kasperl Siebentot also als Personifizierung der Masse! Das Neue an Drachs Interpretation ist der Gedanke, daß nicht das Volk „verführt“ worden ist, sondern daß sein Führer die Phrasen und Redensarten der Leute aufgenommen hat und durch sie zur Macht gelangt ist, daß also das Volk mitverantwortlich ist für die vom „Führer“ eingeleitete Entwicklung. „Ich hab' ja gar nichts in mir gehabt, alles haben sie mir edn-geblasen“, heißt es einmal. An anderer Stelle: „Das, was ihr aus ihm macht, das stellt er wirklich dar.“

Ähnliche Probleme werden in dem Panoptikalspiel „Das I“ angeschnitten, das in vieler Hinsicht an Brechts Gangsterspektakel „Der unaufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ erinnert. Die Machtergreifung durch die „Arischphantasten“, Phasen der Entwicklung ihres Regimes, das Zusammenspiel der großen Verbrecher mit Hochfinanz und Großindustrie, ihr Packeln mit gewissenlos-naiven ausländischen Diplomaten, das Gewinnen des Militärs — all das erleben wir in monströsen Szenen. Und auf der anderen Seite der unaufhaltsame Weg der Opfer ins Verderben, der Opfer, die selbst zu ihrem Unglück beitragen, weil sie rechtzeitig gemeinsames Handeln versäumt haben.

Ein tiefer Pessimismus spricht aus Drachs Stücken; sein Glaube an den Menschen hat Schaden genommen durch seine bitteren Erfahrungen. Es bleibt abzuwarten, ob die weiteren Arbeiten des Autors, dessen umfangreiches Lebenswerk sein Verlag zu veröffentlichen verspricht, eine Wendung bringen. Jeder, der die beiden bisher erschienenen Bände gelesen hat, sieht den angekündigten Publikationen mit Spannung entgegen.

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