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Literatur und Demokratie

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Schriften zur Politik, noch dazu von Menschen, die für sich den Anspruch erheben können, Schriftsteller und Dichter von Rang zu sein, wird man in auch nur annähernd dem literarischen Kunstwerk sozusagen als politisches Feuilleton gleichzusetzender Form der Lebensäußerung, der künstlerischen Bewältigung des Wirklichen, kaum mehr finden. Vielleicht ist das Schreiben zur Politik nicht mehr aktuell, well schon das Reden zur Politik verkommt und die grundsätzlichen Diskussionen immer mehr einer an Werbung und Optik orientierten politischen Waschmittelpropaganda weichen.

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Schriften zur Politik, noch dazu von Menschen, die für sich den Anspruch erheben können, Schriftsteller und Dichter von Rang zu sein, wird man in auch nur annähernd dem literarischen Kunstwerk sozusagen als politisches Feuilleton gleichzusetzender Form der Lebensäußerung, der künstlerischen Bewältigung des Wirklichen, kaum mehr finden. Vielleicht ist das Schreiben zur Politik nicht mehr aktuell, well schon das Reden zur Politik verkommt und die grundsätzlichen Diskussionen immer mehr einer an Werbung und Optik orientierten politischen Waschmittelpropaganda weichen.

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Möglicherweise aber gibt es auch keine Schriftsteller mehr die über so viel politische Bildung verfügen, daß sie diskussionsfähig werden oder ein politisches Konzept, welches auch immer, vertreten können. Wenn aber der Ausspruch Thomas Manns stimmt, daß der Mensch ohne Staat ein wilder ist, dann könnte es ohne weiteres passieren, daß die Geister eines Tages in ihren elfenbeinernen Türmen erwachen und rund um ihre abgeschirmten Gehäuse einen Dschungel vorfinden. Zweifellos, mit Worten ist im Lauf der Geschichte sehr viel, vielleicht schon zuviel angerichtet worden und daß die Dämonie des Wortes wenn sie im richtigen Augenblick auf die Dämonie der Massen stößt, Katastrophen hervorrufen kann, das könnte eine Geschichte etwa der Kriegshetze, die noch niemand geschrieben hat, sicher sehr gut aufzeigen. Wedters sind wahrscheinlich die Fragen der Ökonomie, des Sozialgefüges im ganzen so diffizil geworden, daß ein denkender Mensch, dem es an klingenden Worten nicht mangelt, immer mehr dazu gezwungen wird, diese nicht nach ihrem Klang, sondern nach ihrer Richtigkeit zu messen, was, wie man anhand der Wahlreisen etwa Günther Grass' sah, auch ab und zu zu handfesten Blamagen führt. Trotzdem, bei der Lektüre der politischen Schriften berühmter deutscher Autoren, die nun in einer Reihe bei Suhrkamp erscheinen, erwacht wieder die Trauer um das Aussterben des politisch engagierten Schrftstellers, weniger als Aufwiegler der Massen oder als Lautverstärker der vox populi, schon gar nicht als Stimme des Gewissens, sondern schlicht und einfach als Lebensäußerung eines Menschen, für den die künstlerische Arbeit nicht allein Selbstzweck ist, sondern eben auch eine in Relation zu Gesellschaft stehenden Tätigkeit. Politischer Wandel war die eigentliche oft bittere Voraussetzung für politische Betätigung wenn auch nur indirekter Art. Hermann Hesse, der vielleicht am wenigsten politische, zog für seine Existenz den radikalen Bruch mit Deutschland vor. Er lebte ab 1912 bis zu seinem Tod in der Schweiz. Sein Wort von der Unabhängigkeit bzw. Freiheit als Voraussetzung für jede Kunstausübung: „Sie werden weder für Zuckerbrot noch für hohe Ämter käuflich sein, und sich lieber totschlagen als mißbrauchen lassen. Daran werdet ihr sie erkennen können.“ — gilt auf Grund einer vielleicht tragischen Verflechtung der Umstände für Brecht.

Brecht, der Kämpfer gegen jeden Konformismus mußte am eigenen Leib das Schicksal des Staats- und Hofdichters erleben, mußte erleben wie wenig Ulbrichts Arbeiter- und Bauernstaat geeignet war, die Brechtsche Aufforderung zum Denken und damit das Grundkonzept seines ganzen Werkes überhaupt zulassen zu können. Freilich aus dieser Epoche ist das Brechtsche Schweigen, sind die Huldigungsadressen an Stalin und Ulbricht beredter. Die politischen Schriften Brechts, Bibelsprüche aus dem Land des Marxismus, stammen aus früheren Zeiten. Sie offenbaren, der poetischen Kraft Brechtscher Dramatik beraubt, da und dort die vielen Schwächen und Informationslücken, das mangelnde Wissen um die eigentlichen Hintergründe der wirtschaftlichen Vorgänge, einen Mangel an politischer Bildung, wie sie etwa Broch, der in seinem Werk eigentlich Unpolitische, besaß.Daß man die schon damals kompliziert gewordenen Vorgänge mit Sprüchen wie „dem Besitz mißfallen, heißt, dem Besitz entsagen“ nicht bewältigen konnte, daß sie vielmehr den außerhalb der ratio liegenden, der „magischen Formel“ — man denke an die Bibelsprüche Mao Tse-tungs — mehr als der Kraft des Arguments vertrauenden Bedürfnissen der Masse entsprechen, mochte dem das Primat des Denkens fordernden Brecht vielleicht nicht aufgefallen sein, wohl aber dem ideologieentfremdeten späten Nachfahren einer weithin von der Verwissenschaftlichung des politischen Lebens bestimmten Gesellschaft. Der geistige Wandel von einer Kai-ser-Thron-und-Altar-Gläubigkeit zu einer fortschrittlichen demokratischen Gesinnung ist, mit Ausnahme Brechts, der die Wandlung, vielleicht aus einer aus tiefen verborgenen Erlebnissen stammenden Protesthaltung noch viel radikaler — scheinbar radikaler vollzog — allen Autoren gemeinsam. Bei Brecht nur mündete der alte Glaube Irgendwo in einen neuen Atavismus, während etwa die Äußerungen Thomas Manns und vor allem Brochs auch in heutigem Sinn durchaus als beherzigenswert und fortschrittlich gelten können. Broch besaß, von einem Autor des „Tod des Vergil“ kaum zu erwartenden politischen Verstand im besten Sinn, er begriff vielleicht etwas mehr vom Wesen der Demokratie, von der er Radikalismus fordert im Sinn einer Radikalität der Mitte, weil er die Schwächen des Systems, die Gefahr eines neu heraufdämmernden Massenwahns (er wußte noch nichts von LSD und den Rolling Stones) ebenso wie die Krisenanfälligkeit des westlichen Kapitalismus voraussah und der kommenden Generation empfahl beiden Phänomenen größere Aufmerksamkeit zu schenken. Das nüchterne Wort eines Dichters, des Schöpfers des „totalen Romans“, für den die Entwicklung der Gesellschaftstrukturen, das Politische überhaupt nur ein Teil des Möglichen und Wirklichen im Menschen sein konnte.

SCHRIFTEN ZUR POLITIK von Thomas Mann, 208 Seiten.POLITISCHE SCHRIFTEN von Bertold Brecht, 178 Seiten. — POLITISCHE BETRACHTUNGEN von Hermann Hesse 167 Seiten. — Hermann Hesse, 167 Seiten. — GEDANKEN ZUR POLITIK von Hermann Broch, 188 Seiten, alle zirka DM 6.80. Bibliothek Suhrkamp.

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