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Epilog zu Bert Brecht

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Jetzt, da er über einen Monat im Grabe ruht, kehrt Sich der Blick von dem, was aus einer durch sein jähes Ende überraschten Welt für oder gegen seine politische Haltung geäußert wurde, nüchtern seinem Werke zu. Neben tmverwelklichen Versen blieben uns, außer den früheren, die Stücke aus seiner Exilzeit, Oasen in der Dürre des deutschen Dramas, nach dem zweiten Weltkrieg.

Das Gesicht eines Asketen schaut uns aus einem seiner letzten Bilder an — das Photo könnte ein Gemälde von Francisco Zurbaran wiedergeben. Er ist ein Theologe des Diesseits gewesen, ein Savanarola ohne himmlischen Auftrag. „Exerzitien“ nennt er die zweite Lektion seiner „Hauspostille“; man denkt, er könnte auch Scheiterhaufen brennen lassen, allerdings „in majorem hominis gloriam!“

Er, den Schatten Wedekinds hinter seinen frühen Balladen, schwankte zwischen einem hemmungslosen „Fauve“ — wie sein Held Baal oder der Heimkehrer aus „Trommeln in der Nacht“ — und einem kategorischen Moralisten. Sein Baal ist noch ein Bruder von Artzybaschews „Ssanin“, aber dabei droht er sich selbst mit erhobenem Zeigefinger.

So war sein Wesen, wie er mir nach der Generalprobe von „Mann ist Mann“ (bei meinen und des Regisseurs Ernst Legal Einwänden gegen den Schluß) gestand: Antinomie — die übrigens das Wesen jedes Künstlers ist. Auf der einen Seite führte ihn das schließlich zum Katechismus der Partei, auf der anderen reizte es ihn, sich immer wieder zu empören, Fragen zu stellen. In seinem unbarmherzigsten Stück „Die Maßnahme“, das nicht nur auf eine heute schon historische Phase des Kommunismus in China paßt, sondern sich in jedem Maquiskampf oder in „Secret-service“Aktionen wiederholen könnte, steht er ebenso neben dem Verurteilten wie neben den Kameraden, die ihn richten. Und den Prozeß der „Maßnahme“ hat er sozusagen auch gegen sich selbst geführt.

Daraus sind die an seinem Schaffen von ihm vollzogenen Eingriffe zu verstehen, die manche als „dichterische Selbstverstümmelungen“ rügten, so etwa sein Hirsedankgedicht an Stalin. Es war eine Art Stillhalteabkommen mit dem Poetischen in sich, um Dichtung vom esoterischen Genußmittel zum Schmieröl in der sozialen Maschine zu machen. Und zugleich sucht er den gnadenlosen Konsequenzen daraus wieder zu entwischen, von dem verkörperten Zwiespalt des guten Menschen von Sezuan bis zu dem „Verhör des Lukullus“. Immer ist sein „alter ego“ da, für das er die Verantwortung mitträgt.

Oft gelang ihm scheinbar nebenbei auf eine Art, wie sie vor ihm zuletzt dem rebellischen Nestroy glückte, ein Satz wie dieser:

„Gehen wir zusammen angeln, sagte der Fischer zum Wurm.“ Jahrhunderte sozialer Zustände sind darin eingefangen. Und auf dem anderen, dem von ihm unabhängigen magischen Teil seines Wesens erfüllen ihn Gesichte, die Jahrzehnte später schreckliche Wahrheit wurden, so in seinem autobiographischen Gedicht „Vom armen B. B.“: „Von diesen Städten wird bleiben: der durch sie hindurchging, der Wind! ..“

Sehr verständnisvoll und liebreich schrieb über ihn vor dem zweiten Weltkrieg ein Jesuit, dessen Name mir leider entfallen ist. Denn Brecht zählte zu jenem Typus des fanatischen Atheisten, dem die Kirchen aller Konfessionen eine gewisse Sympathie bewahren, nicht nur weil gerade ein solcher durch Werk und Wandel beweist, wie diese Welt weder ohne Gottheit, noch ohne eine kirchenähnliche hierarchische Institution zu Rande kommt, sondern auch weil er in seinem immerhin an einen Gott fixierten Atheismus religiöser ist, als der Indifferentismus mancher ihrer eigenen Anhänger. Auch Brecht besaß ja ein Gefühl, das der christlichen Caritas verschwägert scheint: er nannte es „Freundlichkeit“.

Mit dem Tode hatte er längst gerechnet und ein Begräbnis in aller Stille für sich angeordnet. „Fast ein jeder hat die Welt geliebt, wenn man ihm zwei Hände Erde gibt“ endet eines seiner schönsten Gedichte. Auch er hat sie geliebt, der Dichter des „Baal“ und der „Mutter Courage“, der dann in und neben seinem Werk dieses entfesselte Ich in sich auflösen wollte — er, aus der Reihe, die von Villon und Büchner über Rimbaud und Lorca zu ihm führt, der Letzte!

Zwanzig Jähre nach Lorca starb er und fast auf den Tag zugleich mit zweihundertfünfzig namenlosen Kumpeln in den Kohlengruben von Marcinelle.

/“ lotzt nicht so romantisch.“ Diese Worte 11- standen auf einem über der Bühne befestigtem Transparent bei der Uraufführung von Brechts Stück „Trommeln in der Nacht“, dem ersten Stück von ihm, das, gespielt wurde (in den Münchner Kammerspielen, 1922). Für dieses Stück erhielt er dann den Kleist-Preis.

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