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Der Dichter einer Übergangszeit

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Unter Weltliteratur versteht man für gewöhnlich die Gesamtheit solcher Werke, die hinweg über Grenzen der eigenen Nation und Epoche mit allgemeingültigen Werten zur Menschheit sprechen. J. P. Jacobsen erfüllt sicherlich diese Voraussetzung, doch es führt kein Mittelweg lauer, gleichsam pflichtschuldiger Anerkennung des Lesens zu ihm. Man liebt ihn entweder von der ersten Begegnung an — und er läßt einen dann durchs ganze Leben nicht mehr los — oder man behält ihm gegenüber eine gewisse Zurückhaltung, die sich schwer verleugnen läßt.

Es soll hier weniger vom Autor des „Niels Lyhne“, der „Marie Grübbe“ und der Novellen, der wohl kaum einem Literaturfreund gänzlich fremd geblieben ist, als von der Lyrik Jacobsens die Rede sein: In ihr äußert sich dieser Dichter von an und für sich so stark ausgeprägter Eigenart am persönlichsten, hier finden wir den Menschen, der unserer Zeit viel näher verwandt ist, als man auf den ersten Blick vermuten würde. — — —

' Daß sich Dürer der dynamischen Wirkung solcher Kompositionslinien klar bewußt war, beweist ein Blick auf die anderen Schnitte. Im Toduindendrachen bringt er mit der Horizontalen das hoffnungslose Lasten des Tieres über der Erde zum Ausdruck, im Dradien der Buhlerin ist die entgegengesetzte Diagonale verwendet: Das Heer des christlichen Ritters stößt siegreich vor in das Reich des Bösen.

Das Jahr 1848 hinterließ im Norden keine so deutlichen Spuren wie in Mittel-, West- und Südeuropa. Wohl schrieb der junge Ibsen sein Revolutionsdrama „Cati-lina“ und grüßte in begeisterten Versen die Freiheitskämpfer in Ungarn und Schleswig; doch die skandinavische Abart der romantischen Schule, von öhlenschläger und Teg-ner mit verklärter Rückschau in die altnordische Sagenwelt herangebildet, lebte in Dänemark fast ungestört weiter.

Aber dann drangen auch in dieses Paradies unfreundliche Sturmstöße hinein. Die Niederlage von 1864 zeigte die bittere Wirklichkeit gegenüber erträumter nordischer Solidarität. Björnson und Ibsen hatten die Literatur mit einem unerhört neuen Geist, mit ebenso unerhörten Kraftelementen aus norwegischer Bauernsprache bereichert. In Frankreich stand, Zola an der Spitze, der Naturalismus auf und den gleichen Weg beschritt kurz nachher Strind-berg.

Wo bleibt unser Mann! riefen die Jungen in Dänemark, die sich wie eine Schar von Spielwilligen um den genialen Regisseur

4 Ich brauche wohl nicht zu betonen, daß ich nicht behaupte, Dürer habe hier wirklich an Gabriel gedacht, daß er aber die Jahreszeiten des Gottesreiches mit zum Ausdruck bringen wollte, läßt sich aus dem Zusammenhalt mit den weiteren Blättern d?r Folge unbezweifelbar erweisen. moderner Dichtkunst, Georg Brandes, gesammelt hatten (Deutschland, das aus begreiflichen Gründen ohnehin nicht im Blickfeld lag, hatte sich ja überhaupt bei dieser ganzen Entwicklung beträchtlich verspätet). Und er war in ihrer Mitte, unerkannt noch, als fleißiger Student der Naturwissenschaften, Verfasser von Fachaufsätzen und Abhandlungen, eine davon sogar preisgekrönt, und — heimlicher Dichter ...

Georg Brandes hat ihn mit untrüglichem Urteil zuerst richtig eingeschätzt und gegen heftige Zeitungsangriffe, die in ihm nichts als einen dem Fach entlaufenen Naturwissenschaftler sehen wollten, verteidigt. Mit Edvard Brandes, einem Bruder de vorigen, begabten Schauspieldichter, war der gleichaltrige Jacobsen innig befreundet, ihm eröffnete er sich (um 1868) in der Stille des Studierkämmerchens mit der wunderbaren Arabeske: „Hast du dich verirrt in dunklen Wäldern? Kennst du Pan?“, ihm vertraute er später auch unter vier Augen erstmalig den Plan zum „Niels Lyhne“ an.

Jacobsen war kein formstrenger Lyriker. Selbst wenn er es erlebt hätte, was Arno Holz mit der stolzen Entdeckungsfreude eines jungen Literaten lang nach ihm verkünden wollte („Der erste, der Herz auf Schmerz und Sonne auf Wonne reimte, war ein Genie, der tausendste Idiot!“) — es wäre dem Dänen nichts Neues gewesen. Hatte doch schon der Zwanzigjährige in den „Gurreliedern“, die rund zwei Menschenalter später von Arnold Schönberg vertont wurden, zu strophenlosen freien Rhythmen gegriffen und in einzelnen Abschnitten, wo es ihm stimmungsgerecht erschien, auch den Reim mit fallen gelassen: „So laß uns denn leeren die goldene Schale auf den machtvoll verschönenden Tod; denn wir steigen ins Grab wie ein Lächeln, das hinstirbt für einen seligen Kuß.“ — „Und ich sehe unsere Gedanken erstehen und zusammengleiten wie Wolken, die einander treffen, und vereint sich wiegen in wechselnden Formen. Und meine Seele ist ruhig, ich schau dir ins Aug' und schweige.“ — Um so reizvoller (freilich in Übertragung so gut wie unnachahmlich) sind die wenigen Gedichte, in denen er sich an einen bestimmten Versaufbau gebunden hat, um damit besondere Wirkungen zu erzielen, wie in der „Polka“.

„Ein Wind geht lärmend, Regen trieft

Vom Fenster ohne Pause Doch bückt sie schwärmend, Wie vertieft.

Beständig aus dem Hause.“

Früheste Neigung hatte Jacobsen zum Studium der Natur, zum liebevollen Verständnis ihrer Erscheinungen — besonders in der Pflanzenwelt — geführt: in diesen spiegelte er dann so gern die seelischen Vorgänge. Aber auch in seiner Weltanschauung hatte die Berührung mit den Erkenntnissen der modernen Wissenschaft jenen tiefen Riß verursacht, der die Generation seiner Tage von den strengen Grundsätzen der dänischen Staatskirche, ja selbst von den freieren Religionsbegriffen eines Kierkegaard schied; Zu neu, zu umstürzlerisch wirkte das Ganze noch, als daß man sich eine Versöhnung zwischen Glauben und Wissen hätte vorstellen können; so fand das Denken keinen Ausweg als den Unglauben.

Doch wie es ein konfessionelles Lippenbekenntnis gibt, so muß umgekehrt Jacobsens weltanschauliches Bauwerk, bei aller Intransigenz der äußeren Front, manches Versteck enthaltei. haben, wo Hoffnung und Liebe an totgesagten Idealen weiterwoben. Im epischen Lebenswerk ließ hoher künstlerischer Formensinn das Entstehen einer Bruchlinie kaum zu. In den Versen hingegen, die größtenteils erst nach seinem Tode veröffentlicht wurden, tritt der andere Jacobsen, der Dichter eines „Turm-wächterliedes“ und verwandter Klänge, ans Licht. Hier spricht mit erschütternder Deutlichkeit der Zwiespalt einer Welt von Gegensätzen, die nach Lösung fleht, einer Zeit, die zwar nicht so grausam war wie unsere, aber von der Dichterseele nicht weniger schmerzlich empfunden wurde.

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