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Der Paß

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Die Einbürgerung Bert Brechts ist in der österreichischen Presse in einer Breite behandelt worden, die der Größe des Themas entspricht. Instinktiv und mit Recht wird sie als ein Symbol und Symptom unserer Zeit betrachtet. Merkwürdigerweise richten sich alle Gesichts- und Angriffspunkte bisher ausschließlich nach der einen Seite: den österreichischen Behörden wird der Vorwurf gemacht, dem bedeutendsten kommunistischen Dichter Europas — als solcher muß er heute unbestritten angesehen werden, nachdem einige französische Sterne verblassen — eine rechtsgültige Heimstatt geboten zu haben. Aus dem Vorwurf wächst die Schelte, der Schimpf und die Verdächtigung einer Reihe führender Persönlichkeiten des politischen Lebens, der Kultur und Kunst. Noch ist es aber nicht an der Zeit, über diese Perspektive des Österreichers Brecht ein letztes Urteil zu fällen — einfach deshalb nicht, weil der Öffentlichkeit die Einsicht in die Beweggründe wie in den tatsächlichen Ablauf des Aktenganges der Einbürgerung noch nicht restlos klargestellt ist. Bleibt also — Brecht selbst. Und es bleibt mit ihm des Staunens genug. Halten wir fest: Bertholt Brecht, der Lyriker, dem der deutsche Kulturraum einige der wenigen wesentlichen Gedichte des letzten Vierteljahrhunderts verdankt, Brecht, der Dramatiker, der ein gültiges, wenn auch noch so einseitiges Zeugnis für unsere Zeit abgelegt hat, Brecht, dieser scharfumrissene Charakterkopf der Weltliteratur, dessen Porträt für sich selbst spricht in seiner gemeißelten Strenge, benimmt sich in einem der wichtigsten Dinge unseres Lebens so merkwürdig, daß diese Tatsache das Interesse aller linken, rechten und mittleren Intellektuellen hinter, vor und am Eisernen Vorhang verdient. Diese Merkwürdigkeit beginnt 1945, als er sich weigert, die Fleischtöpfe Babylons (der Schweiz) zu verlassen und das gelobte Land Ostzonien als Wohnsitz zu wählen. Bis die Dränger und Verleger und Tantiemenzahler obsiegten. Brecht geht also nach Berlin. Nach Ostberlin; nicht aber ohne gelegentliche, sehr sorgfältig vorbereitete Gastspiele im Westen, in München etwa, oder 1951 in Venedig (wo man seinem Ensemble allerdings die kalte Schulter zeigt). Nicht ohne gleichzeitig

(wir stehen im Jahre 1949) ein Gesuch um die österreichische Staatsbürgerschaft einzureichen. Anfang 1949: das ist fast drei Jahre vor der Strangulierung seines „Lucullus“ an der Berliner Ostoper ... Seither regnet es aus seinem Dichtermünde (es war ein Dichtermund, kein Spötter, und kein Gegner, der sich selbst achtet, sollte das leugnen), seither regnet es aus seinem Dichtermunde Propagandaphrasen, Machworte, Reimdrusch von jener Art, die einst etwa die Deutsche Arbeitsfront bei ihren Reimsklaven bestellte, und die in wüstem Schwall das Neue Gelobte Land besingen; das Reich Gottes auf Erden ... Dessen Staatsbürger sein erlauchtester Sänger selbst nicht werden will...

Vielleicht sollte, zunächst, diese Tatsache uns genug sein, genug zu denken geben — ohne ganz des Labyrinths der bürokratischen Maschinen und Kompetenzen zu vergessen: der österreichische Paß für den deutschen Ostdichter Bertholt Brecht sagt mehr aus über Währung und Wert der Welt des Westens als alle Propagandasirenen, mehr auch als martialische Rüstung und viele Waffen. Mit diesem Paß hat sich Hegels Weltgeist ein Schnippchen erlaubt — und durch Papier und Stempel und eine Unterschrift aus der Hand eines Protagonisten dokumentiert, wo der Geist der Freiheit eine Heimstatt sich sucht. Wo er einkehren will, wenn die Tage des Rausches vorbei sind...

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