Die Banker als die neuen Bettler

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Hausherr Michael Schottenberg inszeniert Bert Brechts "Dreigroschenoper“ am Wiener Volkstheater als zahnlose Umkehrung der sozialen Zustände.

Als "Die Dreigroschenoper“ 1929 am Wiener Raimundtheater erstmals in Österreich aufgeführt wurde, schrieb der Kritiker David Josef Bach, dass nun ein neues Kapitel in der Geschichte des Theaters anhebe. Endlich waren Künstler einer damals jungen Generation am Werk, um die sozialen Probleme der Zeit anzupacken. 1929 ging als Weltwirtschaftskrisenjahr in die Geschichte ein, und auch 2011 war nicht schlecht krisengeschüttelt.

Schottenberg inszeniert "Die Dreigroschenoper“ mit Blick auf die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse: Nicht das Lumpenproletariat, sondern die Verbrecher und Opfer skandalöser Finanzmachenschaften sowie abgewirtschaftete Banker heuern bei Bettlerkönig Peachum an. Die Verlierer von Spekulationsblasen tragen noch teure Anzüge und bezahlen mit Kreditkarten - aber es fragt sich, wie lange noch.

Jede Menge nackte Haut

In einem multifunktionalen Raum (Hans Kudlich) zwischen Gerichtsmedizin und Archivmagazin werden Geschäfte gemacht, Ehen geschlossen, Hinrichtungen vorbereitet. Damit man sich auskennt, wo man sich gerade befindet - ob im Pferdestall, wo das Hochzeitsfest von Mackie Messer mit Polly Peachum gefeiert wird, ob im Freudenhaus oder im Gefängnis - werden die Namen der Locations über die Bühne projiziert. Sie ersetzen damit die Brecht’schen Ansagetafeln, einen festen Bestandteil des epischen Theaters. Ganz statisch sind hier die Gesangsnummern, die das Erzählte ausstellen. Immer wenn Kurt Weills popularisierte Choräle und jazzige Schlager ertönen, kündigen die Darsteller den jeweiligen Song an, und schon wachsen Standmikros aus dem Bühnenboden - eines davon sorgt für einen unfreiwillig witzigen Moment, indem es Katharina Straßers Röckchen (die offenbar zu nah an der Rampe stand) während des Hochfahrens im perfekten Timing keck anhebt.

Dabei mangelt es in Schottenbergs Inszenierung wahrlich nicht an tiefen Einblicken. Und noch weniger an bloßer Haut. In Jennys (Maria Bill) Bordell sitzen und posieren die Huren splitterfasernackt in ihren Kabinen, sofern sie nicht gerade mit Mackie herummachen. Schließlich geht es ja ums nackte Überleben. Warum sie alle gar so sehr hinter ihm her sind, erschließt sich allerdings nur mäßig. Marcello de Nardos Macheath ist mehr der Zuhälter als jene bürgerliche Erscheinung, die Brecht für den Darsteller forderte. Alterslos, mit blond gefärbtem Haarschopf und roter Lederhose punkig unterwegs, nimmt man ihm durchaus den Gangsterboss ab, doch genau jenes skrupellose, unverwechselbare Draufgängertum des messerscharfen Mackie bleibt auf der Strecke. Wie auch der Biss von Brechts Kapitalismuskritik. Da gehört noch etwas Pfeffer in dieses laue Unternehmen des Herrn Peachum, den Patrick O. Beck als eiskalten Halsabschneider spielt. An seiner Seite ist Susa Meyer als trinkende Frau Peachum zu sehen. Überzeugend torkelt sie die Treppe herunter und verdrischt ihre Tochter Polly (Katharina Straßer). Auch ist Meyer - zusammen mit Maria Bill - eine der wenigen, welche gesanglich die Verve von Weills Musik über die Rampe bringt, während das Orchester (unter Imre Lichtenberger-Bozoki) das Jazzige hervorhebt.

Mehr Nestroy als Weill

Was ursprünglich unter "echter Volkstümlichkeit“ gedacht war, versickert bei Schottenberg in einem sonderbaren Verständnis von Volkstheater. Warum sonst klingen manche Weill-Songs eher nach Nestroy-Couplets? Weil sich Nestroys sozialrevolutionäre Ideen mit Brecht kongenial verbinden lassen? Mitnichten.

So kommt Andrea Bröderbauer im neckischen, grauen Wollkleidchen mit Pelzkragen (Kostüme: Erika Navas) eher als bieder-gutbürgerliche Nestroy-"Moiselle“ daher denn als zürnende Erstfrau Lucy. Im Eifersuchtsduett mit Polly (die sich mittlerweile mit schwarzer Brille vom Girlie zur knallharten Geschäftsfrau gewandelt hat) übertrifft hysterische Stutenbissigkeit jedes andere Gefühl. Thomas Kampers Polizeichef Tiger Brown (später Reitender Bote) irritiert als hilflos-braver Mackie-Freund, ein zahnloser Tiger. Macht nichts, sind doch die viel besungenen Messer stumpf geblieben.

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