Antisemit oder Rassist?

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Seltsam, aber so steht es geschrieben: Für diesen Samstag haben rechtsextreme Organisationen eine Demonstration gegen die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" angekündigt. Ein "Bündnis gegen den Naziaufmarsch" organisiert eine Gegendemonstration. Nun aber empfiehlt die Israelitische Kultusgemeinde ihren Mitgliedern ausdrücklich, nicht an der Gegenveranstaltung teilzunehmen: Es sei ihren Mitgliedern nicht zuzumuten, gemeinsam mit Organisationen demonstrieren zu müssen, die ansonsten die Intifada in Palästina protegierten und durch ihre antiisraelische Haltung "den Antisemitismus in Österreich schüren geholfen" hätten. Mehrere Organisationen und Personen traten daraufhin aus dem Bündnis aus.

Antirassisten und Antifaschisten als Antisemiten - zu dieser bizarren Gleichung führt eine nicht minder bizarre aber unhinterfragte Semantik: Im gegenwärtigen Diskurs nämlich ist jede Kritik an der Politik Israels, an jüdischen Organisationen oder an Personen, die zufällig jüdischen Glaubens sind, gleichbedeutend mit Antisemitismus. Als Rassismus wiederum gilt jede Form mangelnden Respekts gegenüber anderen Kulturen und deren Angehörigen, insbesondere gegenüber Muslimen. Der blutige Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern stellt einen nun vor ein unlösbares Dilemma: Verurteilt man die israelische Politik, so ist man Antisemit. Verurteilt man sie nicht, ist man Rassist.

Daher der dringende Aufruf: Der begriffliche Gehalt von Antisemitismus und Rassismus muss einmal durchdacht und neu definiert werden! Vernünftige, wirklichkeitsnahe Begriffe statt sprachlicher Totschlaginstrumente!

Diese Problematik ist freilich kein österreichisches Phänomen: Frankreich wird derzeit von einer Terrorwelle gegen jüdische Einrichtungen heimgesucht; allein am letzten Wochenende wurden drei Anschläge auf Synagogen gezählt. Laut ertönt der Aufschrei: "Antisemitische Attentate!". Die Anschläge gehen freilich nicht auf das Konto eingesessener französischer Rechtsextremer, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach auf jenes von Jugendlichen nordafrikanischer Herkunft. Diese Tatsache wagt jedoch kaum jemand auszusprechen. Denn Immigranten und deren Nachkommen mit Verbrechen in Verbindung zu bringen, ist ja schließlich rassistisch.

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