Aufzeichnungen aus dem "deep freezer"

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Ich arbeite, um zuhause zu sein", resümiert der Schweizer Autor Max Frisch in seinem "Berliner Journal", einem kürzlich erschienenen Band aus dem Nachlass. Viel braucht es wohl nicht, um sich daheim zu fühlen: zwei Betten, einen Arbeitstisch, eine Lampe. Unabhängig von seinen zahlreichen Reisen hat Frisch oft länger im Ausland gelebt und gearbeitet. Die Schweiz zurückgelassen. Berzona, wo er in der Nachbarschaft seines Schriftstellerfreundes Alfred Andersch ein Haus gehabt hat, Küsnacht. Alles "überlebt"?"Der luxuriöse Unsinn mit den drei Wohnungen und die Erfahrung dabei, dass Eigentümerschaft mich nicht verwurzelt." Später heißt es überhaupt: "Die Heimat beschäftigt mich nicht, weder als Objekt der Kritik noch als Objekt privater Erinnerung." Die Schweiz ist hier sicher kein vorrangiges Thema. Aber unterschwellig ist ihre Spur dann doch da, vor allem als Andersch Schweizer Staatsbürger wird.

Kein gewöhnliches Tagebuch

Im Februar 1973 zieht Max Frisch mit seiner damaligen Frau Marianne Oellers nach Berlin. Ab dem Zeitpunkt der Übernahme seiner Wohnung in der Sarrazin Straße 8 protokolliert er wesentliche Ereignisse quasi als Matrix seiner Berliner Zeit. Nun sind aus den ersten beiden der insgesamt fünf Hefte "Passagen" veröffentlicht worden. Herausgeber Thomas Strässle macht in seinem Nachwort auf die Bedeutung dieses Journals für Frisch aufmerksam, weil dieser seinen Aufzeichnungen stets einen Werkcharakter zugedacht habe. Der nicht publizierte Teil aus den Jahren 1974 bis 1980 beziehe sich in erster Linie auf Privates. Das hat Frisch 1981 eindringlich klargestellt. Nichtsdestotrotz verweist auch Strässle darauf, dass Frisch das Journal als unauflösbare Einheit, "als durchgeschriebenes Buch" gesehen hat. Außerdem habe er "wegen der Beteiligten" eine Sperrfrist von 20 Jahren festgelegt: "Das habe ich erst einmal in den deep freezer getan." Seinem Wunsch, alle Hefte des Journals gemeinsam und vollständig zu publizieren, ist man dennoch nicht nachgekommen, was in der FAZ als willkürliche Interpretation des Persönlichkeitsrechts bereits heftig kritisiert worden ist.

Dass das "Berliner Journal", das einen souveränen Blick auf die deutsche Literatur und Gesellschaft wirft, kein gewöhnliches Tagebuch ist, wird bald klar, auch wenn Frisch zunächst einmal von Begegnungen mit Berliner Freunden, vom Einrichten und ersten Einkäufen spricht. Uwe Johnson bringt ihm beispielsweise bei seinem Einstandsbesuch eine gerahmte Wohnungsgrundrissskizze mit, die Frisch unmittelbar nach seiner ersten Wohnungsbesichtigung auf dessen Drängen hin angefertigt hat. Auch Mühen mit dem Schreiben, "das Nachlassen der Erfindungskraft" und des "Kurzzeitgedächtnisses" oder die Crux des Schriftstellers, sich ständig öffentlich äußern zu müssen, der selbstkritische Zugang zu Geschriebenem, das alles fließt in dieses Journal ein. Außerdem persönliche Kondensate außerhalb des Schreibens wie "der Kampf gegen den Alkohol", eine Londonreise, Herzbeschwerden oder Gespräche über Beziehungen. Doch als fixe Koordinaten webt Frisch seine tiefe und zugleich luzide Auseinandersetzung mit dem Schreiben, mit der Literatur und vor allem mit politischen und gesellschaftlichen Ereignissen der damaligen Zeit in den Text. Auch eine Bewunderung für den "Virtuosen" Peter Handke ist da, der mit dem "Wunschlosen Unglück" in so jungen Jahren etwas zu melden hat.

Immer wieder oszillieren Reflexionen über die damalige Literaturszene, über Schriftstellerkollegen und Freunde durch diesen Band, mitunter radikale Beobachtungen und Einschätzungen. Frisch erwähnt, dass sein Interesse nicht nur an seiner eigenen Biografie, sondern auch an der anderer wachse, es sei dies ein "Interesse an der Faktizität". Das "Berliner Journal" enthält damit auch kleine Porträts, etwa über Alfred Andersch, Günter Grass, Christa Wolf, Wolf Biermann, Jurek Becker und natürlich Uwe Johnson.

Zum markanten thematischen Diskurs wird die vielschichtige und sublime Auseinandersetzung mit dem geteilten Berlin und der Wunde aufgezwängter DDR-"Herrschaftsverhältnisse". In einem Gedankenexperiment imaginiert Frisch für Zürich in einem poetischen Text dasselbe Schicksal und fügt ihn in seine Aufzeichnungen ein. Bei seinen Lesungen in Ost-Berlin oder Leipzig wird er natürlich stets zuvorkommend behandelt: "Alles in allem fast eine Art von Schwarzhandel, was wir treiben; ich biete Meinungen feil, ohne die offizielle Terminologie in Kauf zu nehmen, und sie können es sich anhören, ohne sich als DDR-Bürger etwas zu vergeben." Kein öffentlicher "literarischer Dialog".

Ein kompliziertes Verhältnis

Fast zeitgleich mit "Aus dem Berliner Journal" ist auch der "Briefwechsel Alfred Andersch -Max Frisch" samt Fotos und Faksimiles erschienen, der einen lohnenden Einblick in die Beziehung der beiden Autoren, in Persönliches und in ihre künstlerischen Auffassungen gibt. Andersch nimmt als Leiter der Redaktion "Radio-Essay" und Herausgeber der Literaturzeitschrift Texte und Zeichen mit Frisch Kontakt auf. Schnell werden sie näher miteinander bekannt. Andersch überlässt Frisch in Rom das Atelier seiner Frau. Später werden sie fast Nachbarn in Berzona. Ihre Korrespondenz zeugt von Freundschaft, aber auch von Zorn, Unverständnis und Distanz. Während Frisch Offenheit demonstriert und mit vielen deutschen jüngeren Autoren freundschaftlich verbunden ist, kann Andersch den neuen literarischen Entwicklungen in Berlin nur wenig abgewinnen: "Berlins Literatur-Welt zog an uns vorüber. Grass, seine showmanship mir gegenüber zügelnd, Uwe Johnson, ein pedantischer Lümmel, Schnurre mit dem Mauer-Komplex, Hans Werner Richter, das Genie der Bonhommie, Höllerer mit Eleganz das Klavier des Betriebs spielend

Ich mag nur einfach diese fein verhohlene Welt nicht." Frisch und Andersch schicken einander ihre Texte zur Kritik. Andersch ist Frischs Trauzeuge. Aber als Frisch einen Text über ihn schreibt, den "Versuch einer eignen Standortbestimmung aus zwischenmenschlichen Situationen", kommt es zum großen Zerwürfnis. Dessen Publikation lässt Frisch daraufhin bleiben, aber im Briefwechsel ist der Text nachzulesen. Die Beziehung zu Andersch sei danach "krampfhaft" geworden, heißt es im "Berliner Journal". Zwar bemüht sich Frisch fortan, wieder Normalität einzufordern, aber es gelingt ihm nur langsam. Erst von seinen Nachbarn erfährt er, dass Andersch Schweizer Staatsbürger geworden ist. Andersch, der "deutsche Deserteur", der politische Schriftsteller, verzichtet auf sein Wahlrecht in Deutschland. Für Frisch unvorstellbar. Mit den Jahren werden die Briefe spärlicher. Aber in der Laudatio auf Andersch und im Nachruf zeichnet Frisch nochmal eine sensible Lebensskizze des Freundes.

Dieser Briefwechsel dokumentiert aufschlussreich das komplizierte Verhältnis zwischen Frisch und Andersch und gibt einen luziden Einblick in ihre unterschiedlichen Charaktere, aber auch in ihre gesellschaftspolitischen und literarischen Haltungen. Die Wertschätzung überwiegt, sodass Max Frisch in seiner Laudatio sagen kann: "Ich bin froh um unsere Zweite Freundschaft."

Briefwechsel Alfred Andersch - Max Frisch Mit einem Vorwort des Herausgebers Jan Bürger, Diogenes 2014.186 Seiten, geb., € 20,50

Aus dem Berliner Journal Von Max Frisch, Herausgegeben von Thomas Strässle, Suhrkamp 2014.236 Seiten, gebunden, € 20,60

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