Brecht'sche Lasterhaftigkeit

Werbung
Werbung
Werbung

Bert Brechts Stück "Baal" lässt gesellschaftliche und christliche Moralvorstellungen hinter sich.

Wie kaum ein anderer Dichter hat Brecht es verstanden seine Umgebung zum Material zu machen. Schon in dem 1918 in einer ersten Fassung vorgelegten Stück Baal wird diese Arbeitsweise nachvollziehbar. Die Hauptfigur des Stückes, der gesellschaftliche Außenseiter, genusssüchtige Dichter und anarchistische Bürgerschreck Baal, der Name ist einem gleichnamigen alttestamentarischen Gott entlehnt, der ein Sinnbild der Lasterhaftigkeit ist, trägt unverkennbare Charaktereigenschaften von literarischen Vorbildern Brechts, wie Villon, Rimbaud, Verlaine oder Wedekind. Gleichzeitig stellt das Stück eine Auseinandersetzung mit Nietzsches Übermenschen, der Zarathustra-Figur dar und war aber auch als provokativer Gegenentwurf zum Stück des damals bekannten Dramatikers Hanns Johst Der Einsame gedacht, womit Brecht unverholen auf Aufmerksamkeit spekulierte und schließlich auch bekam. Wie das Kalkül des gerade mal 20-jährigen Brecht auch immer gewesen sein mag, es war wirkungsorientiert. Und so wundert es wenig, dass die Uraufführung 1923 in Leipzig zum Skandal geriet.

Baal als Hippie

Seither gilt das erstaunlich wenig gespielte Stück vor allem als Ausdruck des Lebensgefühls einer stürmischen, gegen herrschende Konventionen aufbegehrenden Jugend. Auf einen Nenner gebracht heißt das, Baalische Weltgefühl': Poetisierung des Lebens, jenseits gesellschaftlicher und christlicher Moralvorstellungen, heute kann man sagen: jenseits von Gut und Böse.

Die in Frankreich umjubelte, werktreue Inszenierung von Sylvain Creuzevault basiert auf der 2.Fassung des Stückes aus dem Jahr 1919, die hierfür erstmals ins Französische übersetzt wurde. Baal, hinreißend dargestellt von Damien Mongin, ist hier weder ein Genussmensch klassischen Zuschnitts noch ist er böse, asozial. Mit seinen langen Haaren und seinem asketischen, dauernd in Bewegung gehaltenen Körper gibt er das Bild eines etwas naiven Hippies. Er ist damit als nichtkonkurenzbereites Subjekt markiert, dessen Lebensverneinung nur deshalb das eigene Leid und das anderer bereitwillig in Kauf nimmt, weil er in einer Gesellschaft lebt, die weitgehend schon frei von moralischen Zwängen ist. Creuzevault zeigt Baals Enthemmung nicht als Wille zur Gestaltung jenseits jeglicher Moral. Baals überpotenzierter Subjektivismus, die Fähigkeit zur empfindungslosen Gewaltausübung ist Resultat des Zerfalls der Gesellschaft und entspringt der inneren und äußeren ethischen Leere, dem moralischen Vakuum unserer Zeit.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung