Einen Aufsatz über das Thema "Goethe als solcher" ließ Kurt Tucholsky dereinst einen von Goethe als Dichter und Goethe als Philosoph und Goethe als Naturforscher und Goethe als Minister und Goethe als Maler und Goethe als Wasweißich gestreßten, fiktiven deutschen Schüler schreiben. Goethe war ja bekanntlich alles. Wie ein gigantischer Felsblock liegt er mitten im Bachbett der deutschen Literatur- und Geistesgeschichte, keiner kommt um ihn herum, selbst Lessing und Schiller sind kleine Bäumchen daneben. Sein Wort konnte Karrieren vernichten, in seinem Windschatten konnte man Karriere machen, Grillparzer wurde bei der täglichen Massenaudienz des Dichterfürsten einiger freundlicher Worte gewürdigt, daß ihm Schubert eine Komposition gewidmet hatte, nahm er so nebenbei zur Kenntnis, wer war schon Schubert. Goethe als solcher: Ein Geistesgigant, aber auch ein begnadeter Selbstdarsteller und ein Mann mit großer Macht. Macht muß es sich heute gefallen lassen, "hinterfragt" zu werden: Wie weit ist Goethe die Stellung als literarische Instanz, seine Autorität und Ausstrahlung als selbstverständliche Folge seines Ruhmes als Dichter zugefallen, wie weit hat er sich seine Machtstellung bewußt aufgebaut? Auch 250 Jahre nach seiner Geburt gibt es nur viele Zwischenantworten, aber keine endgültige. H. B.
