Die Dame, die Mercedes hieß

19451960198020002020

Wie der spanische Vorname eines österreichischen Fräulein Jellinek in der Welt der Automobile zum Begriff wurde.

19451960198020002020

Wie der spanische Vorname eines österreichischen Fräulein Jellinek in der Welt der Automobile zum Begriff wurde.

Werbung
Werbung
Werbung

Zum Radeln im garantiert gemäßigten Klima beim Badener Kurpark trägt Herr Emil Jellinek einen Tropenhelm, Relikt aus seinen Jugendjahren in Nordafrika. Der Velocepidist, im Exterieur eine Kreuzung aus Kaiser Franz Joseph und Jacques Offenbach, hat es als Geschäftsmann zu einer Villa in Baden und einem Haus am Schottenring gebracht. Längere Zeit residierte er, ebenso feudal, in Nizza.

Fahrzeuge sind seine große Passion, je geschwinder desto lieber. Deshalb interessieren ihn die Erzeugnisse der Daimler-Motoren-Gesellschaft in Cannstatt bei Stuttgart. Die Produktion läuft damals, in den 1890er Jahren, auf Bestellung, und der Tropenbehelmte ist ein guter Abnehmer, für den Eigenbedarf und zwecks Weiterverkauf. Damit steigt er selber in die Branche ein, sichert sich den Alleinvertrieb der deutschen Automobilmarke in Österreich-Ungarn und Frankreich.

Er ist überhaupt sehr fürs Aparte. Seinem Töchterl zum Beispiel hat er den in Wien ganz raren spanischen Namen Mercedes gegeben, der klingt so schön nach Goldschnittlyrik oder romantischer Oper. Das Mädel ist gerade zehn Jahre alt, ein rechter Wildfang, als der Papa wieder einmal eine seiner spontanen Ideen hat. Zu einer Wertungsfahrt an der Riviera läßt er 1899 einen 28 PS Daimler unter dem Namen Mercedes starten. Der Wagen geht als erster durchs Ziel.

Dieser Erfolg, ansehnliche Orders und die Freundschaft mit dem Chefkonstrukteur Wilhelm Maybach verleihen Jellineks Wort bei der Erzeugerfirma Gewicht. Er ist an der Entwicklung des neuen "Renn- und Tourenwagen"-Modells mit 35 PS beteiligt und wird sogar Aufsichtsrat des Unternehmens. 1900 ist der Prototyp bereit. Fehlt nur eine zugkräftige Benennung. Prompt wie ein Auspuffknall Jellineks Vorschlag: natürlich Mercedes!

Schon zwei Jahre später wird der Name zur eingetragenen Schutzmarke, und 1903 denkt sich der Herr Aufsichtsrat das aus, was man heute einen individuellen Werbegag nennen würde, sodaß jeder gleich weiß: dieser Mann hat mit jenen Automobilen zu tun, die jetzt im wahrsten Sinn soviel Staub aufwirbeln. Die k.k. niederösterreichische Statthalterei bewilligt sein Ansuchen, sich und die Seinigen fortan Jellinek-Mercedes zu nennen. Auf der Visitenkarte seiner Tochter entsteht dadurch eine singuläre Namens-Symmetrie.

Und in den Zeitungen figuriert die Familie bald als das "Haus Mercedes", das ersetzt die nicht erfolgte Nobilitierung des Oberhauptes, hat sogar entschieden dynastischen Klang. Eine richtige Adelskrone kommt noch hinzu, als Mercedes, das Mädchen nämlich, 1909 in Nizza den Freiherrn Karl von Schlosser heiratet, k.k. Bezirkskommissär im Ministerium für öffentliche Arbeiten. Standesgemäß gesagt: die beiden werden vermählt. Das Paar richtet sich im noblen Viertel beim Theresianum ein, zwei Kinder werden geboren. Ob Mercedes in einem Mercedes fährt? Sicherlich, und bestimmt spielt sie voll Eleganz und Grazie ihre Rolle als Dame der Gesellschaft. Aber sie muß das unruhige Blut ihres Vaters geerbt haben. 1923 nimmt die Ehe kakanischen Stils eine Wendung wie in Novellen Arthur Schnitzlers und Stefan Zweigs. Die Baronin geht einfach davon. Der neue Mann in ihrem Leben ist ein Baron Weigl, von Beruf Bildhauer. Emil Jellinek-Mercedes blieb dieser Eklat ebenso erspart wie der Zusammenbruch seiner Welt, er ist schon im Jänner 1918 gestorben, fern vom Kriegsgeschehen, in Genf.

Mercedes erreicht die Scheidung und heiratet zum zweitenmal. Doch nach kurzer Zeit ist sie Witwe. Als solche tritt sie offenbar nicht mehr deutlich in Erscheinung. Die letzte biografische Eintragung fällt in den Februar 1929, es ist die Nachricht vom Tod der gerade Vierzigjährigen. Ihr Grabstein auf dem Wiener Zentralfriedhof zeigt, ein Irrtum des Graveurs, als Geburtsdatum 1899 an - das Jahr, in dem der Name Mercedes bereits in die Geschichte der Motorisierung einging.

Furche-Serie, Teil 4: Hinter dem Begriff: ein Mensch Gunther Martin stellt in loser Folge Personen vor, deren Namen als Begriff fast alle, deren Biographie aber nur wenige kennen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung