Die Idee vom reinen, absoluten Tanz

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Das Salzburger Museum Rupertinum zeigt die Ausstellung "Merce Cunningham Dance Company - Fotografien einer Tanzbewegung“. So umfassend war in einem Museum das Lebenswerk des US-amerikanischen Tänzers und Choreografen noch nicht zu sehen.

Er verkörperte die typische Künstlergestalt des 20. Jahrhunderts. Nie wäre es Merce Cunningham eingefallen, einen Pakt mit dem Publikum zu schließen. Dieses sollte sich gefälligst anstrengen, mit seinen Bemühungen, den Tanz zu einer absoluten Kunstform zu erheben, intellektuell mitzuhalten. Er legte es nicht darauf an, den Leuten zu gefallen, er war ein Besessener, der die Öffentlichkeit seinen Ideen unterwarf. Wer gewohnt war, Bewegung und Musik als eine Einheit zu betrachten, musste umdenken. Beide Ausdrucksformen bestanden für sich selbst, keine übernahm die Oberhoheit über die andere, die nur noch zu illustrieren hätte, was die eine vorgab. Cunningham nahm die Demokratisierung der Künste derart ernst, dass er beide unabhängig voneinander existieren ließ, auch wenn sie gleichzeitig auf der Bühne stattfanden. Dazu passt, dass er dem Zufall eine Chance einräumte und nicht dem Choreografen das letzte Wort ließ.

Cunningham experimentierte auf Teufel komm raus, und kaum hatte er ein Tanzprojekt bühnenfertig gestellt, arbeitete er schon am nächsten. Knapp 180 Produktionen verzeichnet die Gesamtliste seiner Arbeiten seit 1942. Hätte er sich nur mit der Perfektionierung der Bewegungsabläufe und dem Austüfteln immer ausgefallenerer Choreografien beschäftigt, wäre es ihm zu eng geworden. Er brauchte die Berührung mit den anderen Künsten. Er arbeitete zusammen mit dem Komponisten John Cage, mit dem ihn eine jahrzehntelange Lebensgemeinschaft verband, ließ von den Pop-Art-Künstlern Robert Rauschenberg und Roy Lichtenstein die Bühne gestalten, spielte Videos von Nam June Paik ein und ließ ausgewählte Fotografen nahe an sich und seine Arbeiten heran wie Mikhail Baryshnikov oder James Klosty. Letztere dokumentierten nicht nur, was sie beobachten durften, sie unterzogen all das ihrem eigenen Blick, nahmen Aufführungen und Proben zum Anlass, ihre eigene Kunst daraus zu gestalten. Im Unterschied zum klassischen Ballett verzichtete Cunningham auf erzählerische Inhalte zugunsten der Abstraktion. Hier wurde Schluss gemacht mit der für die Tanzkultur so prägenden Gestalt wie Martha Graham, deren Schule Cunningham durchlief, für die aber Tanz stets mit Ausdruck zu tun hatte. Bei Cunningham sollte der Tanz ganz zu sich selbst kommen, der reine, absolute Tanz wurde gefeiert.

Im Bild schwer vermittelbar

Wie aber bringt man solch einen Künstler ins Museum ohne ihn als Mumie zu präsentieren? Wie lebendig wird der Geist der Zeit, wenn er in Form von Bilddokumenten zur Anschauung freigegeben wird? Das funktioniert nur dann, wenn großes Denktheater daraus gemacht wird. Wenn das Rupertinum also Fotografien zeigt, in denen man den Meister und seine Truppe bei der Arbeit sieht, so genügt es nicht nur, auf den ästhetischen Reiz der erstarrten Bewegung zu setzen, es muss etwas rüberkommen von der Idee, für die Cunningham steht. Die aber ist im Bild schwer vermittelbar. Wenn ein ganzes Stockwerk für rund hundert Fotografien quer durch die Schaffensphasen reserviert ist, bekommen wir fantastische optische Reize, stehen unter dem Eindruck einer Ästhetik der Kraft und Dynamik, das geistige Fundament jedoch bleibt verschlossen.

Den Anspruch, Cunninghams Welt aufs Foto zu bannen, gelingt besser im obersten Stockwerk, das der Auseinandersetzung dreier Fotokünstler mit Cunningham vorbehalten bleibt. Vier Jahre lang, von 1968 bis 1972, begleitete James Klosty die Company. Er hatte Zeit, sich mit den Typen zu beschäftigen und sich auf die Persönlichkeit Cunninghams einzustellen. Er musste nicht schnell reagieren, er durfte Probensituationen nutzen, die er in filigranen Schwarz-Weiß-Schatten-Licht-Aufnahmen festhielt. Er kitzelte die Seele dieser Kunst hervor, zumal seine Bilder den Cunningham-Projekten ihre Rätselhaftigkeit belassen. Wie anders dagegen die Farbfotografien von Anna Finke, die von 2007 bis 2011 die Tanztruppe beobachtete. Sie stellt Körper in einen Raum, der von ihnen sofort beherrscht wird. Die Menschen bleiben im Mittelpunkt, sie machen sich die Umgebung untertan.

Merce Cunningham Dance Company

Fotografien einer Tanzbewegung

MdM Rupertinum Salzburg

bis 11. November, Di-So, 10-18 Uhr (während der Festspiele auch Mo, 10-18), Mi bis 20 Uhr

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