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„Nachholbedärfe“ in Tanz
Beethovens Neunte, von Maurice Bėjart umgesetzt in Tanz, in der Wiener Stadthalle, im Theater an der Wien zwei Abende von Merce Cunningham und seiner „New York Dance Company“ – dazwischen liegt der Bogen von maximaler Popularität und Eingängigkeit zum konsequenten Fortschreiten auf einem einmal eingeschlagenen Weg, ohne Rücksicht auf Publikumsreaktionen, jedenfalls ohne Angst vor negativen. Außerdem: Von heute ist weder Bėjart noch Cunningham, wenn sie auch in sehr verschiedenen Schichten unserer Vergangenheit wurzeln.
Beethovens Neunte, von Maurice Bėjart umgesetzt in Tanz, in der Wiener Stadthalle, im Theater an der Wien zwei Abende von Merce Cunningham und seiner „New York Dance Company“ – dazwischen liegt der Bogen von maximaler Popularität und Eingängigkeit zum konsequenten Fortschreiten auf einem einmal eingeschlagenen Weg, ohne Rücksicht auf Publikumsreaktionen, jedenfalls ohne Angst vor negativen. Außerdem: Von heute ist weder Bėjart noch Cunningham, wenn sie auch in sehr verschiedenen Schichten unserer Vergangenheit wurzeln.
Bėjarts Choreographie zur Neunten entstand 1964, hätte aber auch schon dem 1953 im Wiener Stadion abgehaltenen Riesenfest (war es der Internationale Bund Freier Gewerkschaften? War’s ein anderer Anlaß?) gut zu Gesicht gestanden. Bėjarts „Neunte“ hält die Mitte zwischen Tanz, Massendemonstration und Sportfest, und sie ist Reminiszenz einer Zeit, in der man noch geglaubt hat, mit Musik, Tanz und schönen Worten die Menschen und damit die Welt verbessern zu können. Soweit kann sich Bėjart sogar auf Beethoven berufen. Allerdings ist diese seine Choreographie zur „Neunten“ alles andere als ein Werk aus einem Guß, wodurch der Zahn der Zeit Ansatzpunkte fand, an ihr zu nagen. Es beginnt mit in die Luft gereckten Fäusten – Fäuste sind bei Beethoven immer gut, man denkt an sein Dem-
Schicksal-in-den-Raehen-greifen, aber im Programm ist von anderem die Rede, vom Menschen, der im Erdenschoße wie im Mutterleib schlummert, und so. Der Effekt wirkt im Augenblick, in der Wiederholung weniger. Sehr schöne Momente hat Rita Poelvoorde, da ist Beschwingt- heit, da ist Freude, Leichtigkeit, da ist sie plötzlich, die Adressatin dieser Symphonie, die Freude. Sie verweilt kurz, verschwindet, kehrt besuchsweise dann und wann wieder. Im Finale sinkt die Darbietung auf Sportfestniveau. Und wird gerade dabei unerhört aktuell. Eine schwarze Tänzerin, die nicht tanzen kann, es aber -trotzdem tun darf, von.wegen Völkerverbrüderung und so fort – ist das nicht aktuell?
Grauenhaft die mit gequetschter Grabesstimme rezi-malträtierten Sätze von Nietzsche; Bejart dürfte überhaupt über Strecken mit diesen Sätzen mehr anzufangen gewußt haben als mit dem Hymnus £jn die Freude. Als Choreographie zu Sätzen Nietzsches über die „Neunte“ kann dieses Werk durchaus Geltung beanspruchen. Und zumal einige der tänzerischen Leistungen sehr bemerkenswert waren, war es wichtig, es in Wien zu zeigen. Spät aber doch. Wiener Nachholbedarf.
Arg war die Akustik der Halle. Immerhin konnte man während der Aufführung, im Gegensatz zum Lautspre- cher-Furioso bei der Probenarbeit, sogar die Streicher von den Bläsern unterscheiden. Die slowakische Philharmonie unter Boncompagni hat gespielt. Es war die Neunte. Aber eigenständige Musikdarbietungen in dieser Halle wären eine Katastrophe – gerade für die, die es nicht bemerken. Weil sie tatsächlich glauben könnten, es handle sich um Musik.
Auch Merce Cunningham mit seiner „New York Dance Company“ hat einen Nachholbedarf in Angriff genommen. Denn während Farben und anderes optisches Material, Sprach- fetzen und Töne längst ihre Emanzipation von den zugehörigen Künsten geschafft haben, verharrten die Ausdrucksmittel des Balletts unerklärlich lange im Kontext von Musik und literarischem Inhalt. Merce Cunningham schuf sozusagen den abstrakten Tanz. Den Nur-Tanz. Tanz, der sich um die gleichzeitig stattfindende Musik nicht mehr schert, zumindest nicht unmittelbar, sondern nur im Sinn einer lok- keren Parallelität. Seine Stücke bauen sich aus den Grundelementen der Choreographie auf, machen diese zu ihrem Inhalt, der Gefahr, daß sich der noch nicht auf Cunningham eingeschworene Teil des Publikums trotzdem unterhalten könnte, wird durch Ausdehnung der Stücke entgegengewirkt. Die Tanzkunst von Merce Cunningham hat ihre literarische Entsprechung in der konkreten Lyrik.
Er macht es dem Publikum nicht leicht. Gibt ihm gar hartes und trockenes Brot zu kauen. Wo die Musik zu leise wird, wird das Scharren und Murmeln der Zuschauer zum akustischen Begleitereignis. Der Weg eines – kreativen und interessanten – Einzelgängers und seiner Anhänger in die von einem bestimmten Punkt an nur noch in sehr begrenztem Maß schöpferische Isolation. Die von Cunningham gezeigten Choreographien liegen bis zu fast anderthalb Jahrzehnte auseinander, geben einen Überblick über seinen Weg. Ihre Nachwirkung in der Erinnerung ist (wenigstens für miqji) oft stärker als ihre unmittelbare Wirkung.
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