Die Welt ist so, wie wir sie sehen

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Brechts "Herr Puntila und sein Knecht Matti" am Volkstheater: Regisseur Thomas Schulte-Michels zeigt das Stück als schrille Welt, in der die Dimensionen unterschiedlicher nicht sein könnten.

Auf roten Stühlen, die einmal winzig klein, dann durchschnittlich und schließlich überdimensional groß sind, turnt und klettert Herr Puntila mit seiner Familie von ganz oben nach tief unten, von maßloser Großzügigkeit in beinharte Geizigkeit.

Schulte-Michels - auch für die Bühne verantwortlich - bringt die Klassenunterschiede in eine klare Form: Während der reiche Gutsbesitzer Puntila und seine Tochter Eva (Heike Kretschmer) die Perspektiven wählen können, bleiben Puntilas Arbeiter stets am Boden.

Schulte-Michels hat aus Brechts Figuren grelle Schablonen gestaltet und sie grotesk überzeichnet, als kämen sie direkt aus dem barocken Kasperltheater des Grand Guignol. Das Lichtdesign macht die weiß geschminkten Gesichter und dunklen Augenhöhlen gespenstisch, vor allem Günter Franzmeier als Knecht Matti steht für den kämpferischen Paradeproletarier.

Entäußerte Spielweise der Darsteller

Bertolt Brecht hat das Volksstück 1940 im finnischen Exil auf Marlebäck verfasst, beeindruckt von der Dichterin und Gutsbesitzerin Hella Wuolijoki, bei der er samt Familie und Margarete Steffin (der Mitautorin des Stücks) untergekommen war. Sein Blick ist konzentriert auf das Herr-Knecht-Verhältnis, auf die soziale Schizophrenie des Menschen in der kapitalistischen Gesellschaft.

Schulte-Michels findet für Brechts didaktisches Theater eine eindeutige Form des "Zur-Schau-Stellens", die sich nicht nur in der entäußerten Spielweise der Darsteller zeigt, sondern ebenso in der schnellen, revueartigen Szenenabfolge. Patrick Lammer hat dafür eine Art Musical - angelehnt an Paul Dessaus Vorlage - komponiert. Er selbst sitzt als Barmusiker am Klavier und führt mit unglaublicher Verve durch den knapp 90-minütigen, pausenlosen Abend.

In dieser herausragenden Ensembleleistung - vor allem Susa Meyer, Nanette Waidmann und Till Firit (als schmieriger Attaché) zeigen auch ihr gesangliches Können - stehen Marcello de Nardo und Günter Franzmeier als titelgebendes Paar Puntila und Matti im Zentrum. Schulte-Michels zeigt sie in Anlehnung an zwei prominente Figuren aus der Filmgeschichte: De Nardos Puntila stolpert wie Charlie Chaplin herrlich über die eigenen Beine, wenn er betrunken und dann "fast ein Mensch" ist. Auch sein Kostüm (Tanja Liebermann) ist ein eindeutiges Zitat auf Chaplins "The Tramp", der hier durch die finnischen Wälder streicht. Und doch ist Puntila nichts anderes als ein Verschwender, ein purer Kapitalist ohne politisches Bewusstsein, der zwar den ausbeuterischen Charakter des freien Marktes erkennt und verpönt, selbst aber Teil dieses Kreislaufs bleibt. So grandios und herzzerreißend De Nardo als trunkener Clown begeistert, so harmlos ist er allerdings in den Phasen der Nüchternheit, wenn seine Aggression nichts anderes als traurige Verzweiflung an der Wirklichkeit bedeutet. Ist er dann "zurechnungsfähig", jagt er die Arbeiter und vor allem den "roten Surkkala" (Robert Prinzler) wieder davon. Dass er betrunken jedoch selbst "beinahe ein Kommunist" geworden wäre, das hat die Volkstheater-Version herausgestrichen.

Gnadenloses Gespenst aus der Geschichte

Puntilas (Klassen-)Antagonist ist sein Chauffeur Matti, der wie ein Zitat auf Alex aus Anthony Burgess' "A Clockwork Orange" (in der Verfilmung von Stanley Kubrick) daherkommt: In ihm verkehrt sich die Welt. Das Schöne löst schlicht Wut aus, das Grausame wird als normal empfunden, das Vermögen der Tochter abgelehnt, nicht aus Zynismus, sondern aus geistiger Überlegenheit und besserem Wissen.

Als Puntila am Gesindemarkt das Feilbieten der Arbeiter kritisiert, die bei Schulte-Michels aus der Volkstheater-Bühne regelrecht einen Laufsteg machen, versteinert Matti am naiven Manko seines Herrn. Franzmeiers Matti schafft jedoch mehr als die von Brecht geforderte "echte Balance": Er taucht wie das gnadenlose Gespenst aus der Geschichte auf, das im Kleid der Komödie seinen Brecht einmahnt. Und damit ist Schulte-Michels jene Gratwanderung gelungen, die das Volkstheater als attraktive Bühne endlich wieder ins Spiel bringt.

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