Die zwei Seiten des Strandes

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Dramatikerin Anja Hilling bringt mit "Sinfonie des sonnigen Tages" das Flüchtlingselend vor den Toren Europas auf die Bühne des Wiener Schauspielhauses: ein wenig erhellender, zäher Theaterabend.

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Dramatikerin Anja Hilling bringt mit "Sinfonie des sonnigen Tages" das Flüchtlingselend vor den Toren Europas auf die Bühne des Wiener Schauspielhauses: ein wenig erhellender, zäher Theaterabend.

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Das Wiener Schauspielhaus eröffnet die letzte Spielzeit unter Andreas Beck, der kommendes Jahr als Intendant ans Theater Basel wechselt, mit einem Auftragswerk von Anja Hilling. Herausgekommen ist mit "Sinfonie des sonnigen Tages" eine große Kunstanstrengung und ein ebensolches Ärgernis. Ein "Rausch der Körper, Töne und Materialien, eine Widerrede im Angesicht des Universums" sollte es laut Ankündigung des Schauspielhauses werden. Nun, das ist hoch gegriffen und es bleibe mal dahingestellt, ob es wirklich ein Rausch war dort. Tatsache ist, es war ein Ärgernis da. Denn so schnell ist man selten ratlos, wie an diesem, obwohl nur 75 Minuten dauernden, zähen Theaterabend.

Flüchtlingsdrama vs. Mittelstandswelt

Gewiss, die 1975 geborene und mehrfach ausgezeichnete Dramatikerin Anja Hilling hat mit "Sinfonie des sonnigen Tages" viel gewagt mit dem Versuch, ein so brisantes Thema wie das Flüchtlingselend, das sich derzeit im Süden Europas abspielt, auf die Bühne zu bringen. Das ist sicher gut gemeint, aber ist nicht eben gut gemeint das Gegenteil von gut, wie schon Kurt Tucholsky wusste? Hilling deutet zwei Geschichten an, die sie einander gegenüberstellt. Auf der einen Seite ist da die Frau aus der Dritten Welt, eine Afrikanerin, die Müllsammlerin Lou. Weiß bemalt wie eine Tragödin aus dem antiken Theater schwadroniert sie über ihr Leben, vom Kampf um ihre nackte Existenz, erzählt von ihrem Mann, vom Tiermarkt, vom Krieg und einer Rakete, die auf sie zuflog. Vermutlich ist sie schon tot, wenn sie uns die wuchtigen Textblöcke, diesen "Exzess des Schmerzes"(so die Ankündigung) entgegen schleudert, umgekommen beim Versuch übers Meer zu kommen, an den Strand vor den Toren Europas. Und da ist auf der anderen Seite an diesem Strand das spießige europäische Mittelstandspärchen. Ricarda und Ralf, die im Traumurlaub versuchen, ihre Ehe oder was davon übrig blieb zu retten. Ein Beziehungsdrama, mit Streit darum, wieviel Ananas man am Strand kauft, mit Geständnissen über Affären und anschließendem Versöhnungssex. Man kennt das.

Das Problem ist nicht diese heikle Gegenüberstellung von Erster und Dritter Welt, sondern die Sprache. Denn Hilling schreibt kaum Dialoge, so dass darin Menschen lebendig, Konflikte erahnbar würden. Sie scheint überhaupt alles Theatralische konsequent zu verweigern. Vielmehr reiht sie philosophisch überfrachtete Sätze aneinander, türmt poetisierende, ärgerlich pathetische Wortkaskaden auf, die selbst beim Lesen kaum verständlich sind.

Enigmatische Bedeutungshuberei

So heißt es einmal: "Spiralen schlagen wenn der Himmel sich senkt. Die Grenzen sprengen. Der Angst der Müdigkeit und der vorstellbaren Welt. Beide Seiten des Meers umfassen. Nichts Besonderes tun. Nur im Moment der größten Bedrängung die Flügel ausbreiten und heiter in die Hölle sehen" oder "das Ende steht geschrieben im Tagebuch der Verdauung" oder "im kopierten Himmel mitten in ihnen zeigt sich das Nichts vergessener Völker im Sternenumriss eines mageren Raubtiers". Aha! Man fragt sich, was hier die Arbeit an der Sprache von der Arbeit am Gedanken verrät.

Wenig Erhellendes hat auch Regisseurin Felicitas Brucker beigetragen. Ihre Regie erstarrt förmlich vor dieser enigmatischen Bedeutungshuberei. Alles, auch der atmosphärische Live-Sound des Elektroduos Mouse on Mars behaupten den heiligen Ernst des Geschehens - wie wichtig es nicht ist!

Sinfonie des sonnigen Tages

Schauspielhaus Wien

21., 22. Oktober, 8., 9., 20. November

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