Vor 40 Jahren ging im Staat New York das legendäre Woodstock-Festival über die Bühne. Nicht zueltzt ein grandioser Film von Ang Lee erinnert an jenen Summer of ’69.
Es blieb der Mythos. Weltweit. Auch für den Teenager in der ostösterreichischen Kleinstadt war – unter anderem über die legendäre „Woodstock“-LP – Anfang der 70er-Jahre der Ruch der großen Welt präsent. Joe Cockers gegrölte Beatles-Nummer „With a Little Help from My Friends“ oder Arlo Guthries „Coming into Los Angeles“. Ein gemeinsames Lebensgefühl der Jungen diesseits und jenseits des Atlantiks: Der Gelegenheits-DJ legte in der ostösterreichischen Tanzschule „At the Hop“ auf, nicht wirklich realisierend, dass der 50er-Jahre-Retro-Auftritt der Gruppe Sha Na Na wie die Faust aufs Auge zum Woodstock-Festival passte. Und in zahllosen Jugendzimmern war die US-Hymne „The Star-Spangled Banner“ in der E-Gitarren-Improvisation von Jimi Hendrix präsent.
Vom 15. bis 17. August 1969 fand das Rock-Festival im Staat New York statt – ein logistisches und finanzielles Desaster – nicht zuletzt, weil niemand mit einer halben Million Besuchern gerechnet hatte; noch einmal so viele hatten es nicht mehr dorthin geschafft. Die Straßen zum Festivalgelände waren hoffnungslos verstopft. Dann noch das launische Wetter, das den Ort des Geschehens in eine Schlammwüste verwandelte. Das alles zusammen kreierte im Verein mit den Klängen der Musiker den Mythos, der bis heute gepflegt wird. Und es gab trotz der verpflegerischen, sanitären und verkehrsmäßigen Katastrophe keine Gewalt: ein Gegenbild der vietnamkriegsfrustrierten Jugend der USA, die sexuelle Revolution und Drogenfreizügigkeit auskostend, zumindest für den geschichtlichen Moment, der dann noch Jahre bis nach Europa strahlte. „Freedom“ – die Improvisation des schwarzen Folksängers Richie Havens übers Spiritual „Sometimes I Feel Like a Motherless Child“ sprach der Generation dieser Lost Kids aus der Seele.
Neben der Platte trug der Film „Woodstock – 3 Days of Peace and Music“ zum Mythos bei. Regisseur Michael Wadleigh setzte mit einem halben Dutzend Kameraleuten und dem jungen Martin Scorsese Maßstäbe für den Musik- und Dokumentarfilm. Der ORF zeigt zum Jubiläum den fast vierstündigen Directors Cut (16. August, 23.35, ORF 2).
Natürlich ist auch der Woodstock-Film eine Interpretation des Geschehens – das liegt nicht nur daran, dass Wadleigh mit der Chronologie der Ereignisse frei umging. Aber er beförderte zum Beispiel die Karriere von Ten Years After und deren Leadgitarristen Alvin Lee nachhaltig, indem er dessen 10-minütige Improvisation „I’m Going Home“ in voller Länge und unnachahmlicher Kameraführung zeigte. Natürlich war wegen des Regen und der Logistik-Probleme auch das Filmen ein Abenteuer; vom Ten Years After-Auftritt soll bloß „I’m Going Home“ brauchbar gewesen sein. Andere Top-Gruppen des Festivals – etwa Blood, Sweat and Tears – finden sich weder im Film noch auf der Platte.
Der Mythos, besser: die Mystifikation beginnt schon bei der Ortsbezeichnung. Denn die Ortschaft Woodstock nördlich von New York war mitnichten der Veranstaltungsort. Michael Lang und Artie Kornfeld, die schillernden Veranstalter, hatten sich das Refugium von Bob Dylan & Co als Aufhänger für ihr Festival ausgedacht. Ursprünglich sollte es 30 Kilometer entfernt im Ort Wallkill über die Bühne gehen. Nachdem dort aber die Behörden aufgrund des Widerstands der Einheimischen die Genehmigungen zurückzogen, standen die Veranstalter Mitte Juli ohne Location da. Sie machten eine Alternative im Ortsteil White Lake des Städtchens Bethel ausfindig, das 75 Kilometer vom Namensgeber Woodstock entfernt lag. Dort fand der Event auf der Farm des Milchbauern Max Yasgur statt, der mit der Verpachtung seines Geländes in die Weltgeschichte (samt eines Auftritts im Film und auf der Schallplatte) einging. Die Verkehrsanbindung war inferior – was zum beschriebenen Chaos führte.
Ein wenig vom Flair der drei Tage
Rund ums Jubiläum sind eine Reihe von Büchern zu Woodstock erschienen, die das Phänomen und ein wenig vom Flair der drei Tage in den Wäldern und Wiesen des Staates New York nahebringen. Die ausführlichste Auseinandersetzung stellt die reich bebilderte und umfassend informative Chronik „Woodstock“ von Mike Evans und Paul Kingsbury dar. Fürs deutschsprachige Publikum liegen erstmals auch die Erinnerungen von Joel Rosenman und John Roberts auf, die gemeinsam mit Lang und Kornfeld Geschäftsführer der Veranstaltungsgesellschaft waren. Die Finanzleute Rosenmann und der 2001 an Krebs verstorbene Roberts schrieben in „Making Woodstock“ ihre Sicht des Werdens und Seins von Woodstock nieder – und machen auch dem heutigen Leser klar, was für ein atem- und nervenraubendes Unterfangen dieses Konzert war. Schließlich zeichnet der Musikschriftsteller Frank Schäfer im Buch „Woodstock ’69 – Die Legende“ das Festival nach, vor allem seine musikkritischen Analysen der Auftritte der 32 Bands und Solisten sind hervorzuheben.
Aufregender Film zum Jubiläum
Den aktuellsten Beitrag zum Woodstock-Jubiläum liefert Oscar-Regisseur Ang Lee („Brokeback Mountain“) mit seinem neuen Film „Taking Woodstock“, der Anfang September ins Kino kommt. Nicht die Musiker, sondern das Publikum und – vor allem – ein bislang weitgehend unbekannter Akteur stehen im Mittelpunkt des grandiosen Leinwandepos: Elliot Tiber, Innenarchitekt in New York, hilft im Sommer seinen betagten jüdischen Eltern, das heruntergekommene Motel El Monaco in White Lake in Schuss zu halten. Er ist es, der vom Veranstaltungsfiasko in Walkill liest, die Veranstalter kontaktiert und sie mit Farmer Yasgur zusammenbringt. Ang Lee hat in „Taking Woodstock“ aus der gleichnamigen Autobiografie von Tiber Elliot einen berührenden Film gemacht, der imstande ist, die Flower-Power-Stimmung so ins Kino zu bringen, dass weit mehr als eine Ahnung davon entsteht, was die Blumen-Kids mit und ohne Drogen und mit viel (freier) Liebe umgetrieben hat. Ang Lee gelingt dies, indem er viele kleine Geschichten hinter den Kulissen sowie übers Woodstockpublikum erzählt. Er vermittelt dem Zuschauer, dass der halben Million Besuchern das Gemeinschaftsgefühl wichtiger war als die Musik(er). Eine Interpretation, die eine reale Facette des Phänomens Woodstock thematisiert.
Dabei kann Ang Lee auf ein großartiges Ensemble setzen, allen voran beim Hollywood-Debüt des Standup-Comedian Demetri Martin, der die Hauptrolle des Elliott Teichberg (so heißt Elliott Tiber im Film) spielt, welcher nebst vielem anderem durch Woodstock sein Coming Out erfährt. Daneben glänzen „Vera Drake“-Star Imelda Stanton, Hollywoods aufgehender Stern Emile Hirsch oder Eugene Levy (der Vater in „American Pie“) als Milchbauer Max Yasgur.
Kritiker werfen den Protagonisten von Woodstock seit Langem vor, sie operierten viel mehr mit einem Mythos denn mit den Tatsachen. Man mag diesen den Film von Ang Lee besonders ans Herz legen: Denn 40 Jahre später bleibt kaum etwas zu tun, als eben Geschichten zu erzählen, an die sich Akteure von Woodstock erinnern. Und etwas von der Sehnsucht spürbar zu machen, die damals eine junge Generation umtrieb. Eine Sehnsucht, die im Morast von White Lake alias Woodstock – vielleicht – einen historischen Augenblick lang in Erfüllung ging.
Taking Woodstock
USA 2009. Regie: Ang Lee. Mit Demetri Martin, Imelda Staunton, Harry Goodman, Eugene Levy,
Jonathan Groff. Verleih: Tobis. 120 Min. Ab 3.9.
Woodstock
Hg. Mike Evans, Paul Kingsbury. Vorwort von Martin Scorsese. Collection Rolf Heyne, München 2009. 288
S., zahlr. Abb., geb., € 41,10
Making Woodstock
Von Joel Rosenmann, John Roberts, Robert Pilpel. Orange Press, Freiburg 2009. 288 S., mehrere
SW-Abb., kt., € 20,10
Woodstock ’69 – Die Legende
Von Frank Schäfer. Residenz Verlag, Salzburg/ St. Pölten 2009. 206 S.,
SW-Abb., kt., € 20,10