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Der Jahrestag der Katastrophe vom 11. September bedeutet, dass es ein Jahr lang auf vielerlei Ebenen "Krieg gegen den Terror" gibt. Über diesen Krieg, seinen Sinn, die Erfolge und Misserfolge diskutieren im Dossier der Militärstratege Erich Reiter und der Friedensaktivist Pete Hämmerle. Reportagen aus Afghanistan und Pakistan sind ein weiterer Schwerpunkt. Einleitend analysiert Thomas Kramar an Hand des neuen Albums von US-Rock-Patriot Bruce Springsteen Amerikas Seele ein Jahr nach "9/11".

Gott, ach Gott, das haben wir gebraucht. Wir haben Bruce Springsteen mehr gebraucht, als wir geglaubt haben, und wir haben geglaubt, dass wir ihn sehr brauchen werden." Aus diesen Zeilen einer Konzertrezension der Washington Post ist keine Ironie zu lesen, genauso wenig wie aus dem Resümee: "Der Boss kam nicht nur um zu rocken, sondern um zu heilen." Was zu heilen? Die Wunde, die am 11. September zwei Flugzeuge der Silhouette New Yorks und dem Selbstbewusstsein der USA zugefügt haben.

"Ich höre Blut meines Bruders, das aus dem Boden tropft", singt Bruce Springsteen auf "The Rising", der Platte, die von einem Gutteil der amerikanischen Öffentlichkeit als das erste und schon deshalb beste "9/11-Album" gesehen wird. Gewiss, andere haben sich auch bemüht: Neil Young, seit über 30 Jahren auf dem Heimweg nach Woodstock, hat sich zur Causa prima einen Song namens "Let's Roll" einfallen lassen, in dem es etwa heißt: "No one has the answer / But one thing is true / You got to turn on evil / When it's coming after you." Gegen solche bodenständigen Abzählreime ist Springsteen ein Intellektueller. Und er ist davor gefeit, wie der Country-Sänger Toby Keith - in einem Song mit dem Untertitel "The Angry American" - allen Feinden mit einem Stiefeltritt in den Hintern zu drohen, vor der Flagge natürlich.

Bruce Springsteen hat 1984 erstmals mit den "Stars and Stripes" posiert: auf dem Cover von "Born In The USA", in T-Shirt und zerrissenen Jeans. Das Titelstück klang wie eine Hymne - und war ein Abgesang auf den Albtraum des Vietnamkriegs. "Got in a little hometown jam / So they put a rifle in my hand / Sent me off to a foreign land / To go and kill the yellow man" - dieser Song wurde tatsächlich, unter dem Ehrenschutz Ronald Reagans, bei patriotischen Feiern eingesetzt!

Gebrochener Patriotismus

Der gebrochene Patriotismus hat in der Volks- und Popkultur Amerikas Tradition: Schon Woody Guthries "This Land Is Your Land" war ja keine jubelnde Feststellung, sondern die Forderung eines Landlosen, Besitzlosen, eines Tramps. In dieser Tradition, der sich Bob Dylan entzogen hat, stehen auch die besten Songs Springsteens. In der Platte "The Ghost of Tom Joad" (1995) übertrug er die Handlung aus John Steinbecks "Früchte des Zorns" auf heutige Schicksale: Den mexikanischen Immigranten wird da das schlammige Wasser des Rio Bravo zu "god's blessed water", zum Vorboten des "Promised Land". Das gelobte Land liegt natürlich ganz im Westen: das ultimative Abendland sozusagen, Kalifornien. Der Song "Promised Land" handelte - so wie Chuck Berrys gleichnamiges, aber wesentlich trockeneres Lied - vom Glauben daran, von der Reise dorthin. Der amerikanische Traum Springsteens war stets ein "runaway dream", wie es in "Born to Run" heißt, die Basis der "von gebrochenen Helden verstopften" Highways.

Der Boss aller Springsteener

So illusionslos - und stets unter Angabe der Zeit, der handelnden Personen und vor allem der Adresse der "Badlands" - wurde Bruce Springsteen zum "Working Class Hero", der John Lennon gerne gewesen wäre, zum "Boss" aller "Springsteener", wie man mittlerweile die weiße Unterschicht nennt. Das ist seine Lizenz dafür, ein Jahr nach dem elften September als Rock-Patriot Nummer eins und "Rock'n'Roll-Gewissen" (New Yorker) dazustehen und den New Yorker Feuerwehrmännern ein bis an die Grenze der Peinlichkeit gerührtes Lied zu singen.

Die Rührung ist glaubhaft: Für Springsteen, in ärmlichen Verhältnissen in Freehold, New Jersey, aufgewachsen, war in Kindertagen die nun verletzte Skyline Manhattans wohl eine einzige Freiheitsstatue: der Ruf der Großstadt, hinein in die graue Vorstadt, wo die Mama, wie's in "Blinded By The Light" heißt, davor warnt, in die Sonne zu schauen. Hätte er sich doch auf "The Rising" daran erinnert! Aber wie ein Schulbub, der gar nicht gern zum Tag der Fahne sein Gedicht aufsagt, hat sich Springsteen zum Raunen entschlossen.

Voll religiöser Symbolik

Die Platte ist voll verschwommener, teils religiöser Symbolik: das heilige Kreuz, der blutige Mond, der schwarze Staub. Das Blut, das in "Empty Sky" aus dem Boden ruft, ist eine Anspielung auf die Geschichte von Kain und Abel. Schon einmal, 1978, hat Springsteen dieses Motiv verwendet: In "Adam Raised A Cain" wird Kain bibeltreu - und auch in Kenntnis Steinbecks - "east of Eden" geschickt, bevor es, in diesem seltsamen Vater- Sohn-Erbsünde-Dramolett, heißt: "You're born into this life paying / For the sins of somebody else's past".

Eine berührende, wenn auch vielleicht spekulative Passage in "The Rising" findet sich in "Worlds Apart", wo, zur Begleitung seiner E-Street-Band und eines pakistanischen Quawwali-Ensembles, Springsteen zwei Liebende aus zwei Kulturen sich voneinander verabschieden lässt, während "Allah's blessed rain" fällt. Am Ende der Platte, in "My City of Ruins", bleibt dann nur mehr ein Gebet um "Kraft, Glaube, Liebe": der Gospel eines, dem die Worte fehlen.

Je öfter man diese Platte hört, umso ehrlicher kommt einem das vor: dass einer, dessen Stärke die Worte sind, nicht verbirgt, dass ihm die Worte fehlen. Seinen glühenden Anhängern geht es, scheint's, ganz ähnlich: "A celebration of the human spirit" konstatierte die New York Post. "Rock ist seine Religion", schrieb der Kritiker der Washington Post: Umgekehrt stimmt's schon eher. Besonders tröstlich aber: Dieser Gläubige wird so bald nicht den fundamentalistischen Rächer von "God's own country" hervorkehren. Dafür hat er sich zu lange als Kain gefühlt.

Der Autor ist Kulturredakteur der Tageszeitung "Die Presse".

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