Prophet Dylan
Bob Dylan, der Meister des Songs, Provokateur, Troubadour und diffiziler Gottes-Interpretator ist 80 Jahre alt.
Bob Dylan, der Meister des Songs, Provokateur, Troubadour und diffiziler Gottes-Interpretator ist 80 Jahre alt.
Es ist ein Moment scheinbaren Scheiterns, der aber auf den zweiten Blick eine tiefere Wahrheit offenbart. Als die US-Musikerin Patti Smith bei der Verleihung des Nobelpreises 2016 an den (abwesenden) Bob Dylan vor Hunderten geladener Gäste einen der alten, klassischen Songs des Geadelten singt, geschieht das Unfassbare: Smith vergisst in der zweiten Strophe den Text, bittet das Publikum um Entschuldigung und den Dirigenten darum, nochmals an gleicher Stelle zu beginnen. In der dritten Strophe stolpert sie fast noch einmal, doch diesmal singt sie weiter.
Liebe Leserin, lieber Leser,
diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)
diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)
„Ich kenne das Stück in- und auswendig“, sagt sie in einem TV-Interview Monate später. „Ich fühlte mich bereit, ich war zuversichtlich, und ich weiß einfach nicht, was da geschah. Ich habe nicht den Text vergessen. Ich gefror.“
Doch warum gefriert sie, als sie „A Hard Rainʼs a-Gonna Fall“ (Es wird ein harter Regen fallen) singt? Vielleicht, weil sie für einen kurzen Moment auf einem Berg stand, auf dem Dylan einst schrieb – es aber sein ureigener Achttausender war, mit seiner Perspektive, die sie gefrieren lassen musste?
Es gibt unzählige Wege, sich Werk und Vita Dylans zu nähern, der am 24. Mai seinen 80. Geburtstag feierte. 39 Studioalben veröffentlichte der als Robert Allen Zimmerman geborene Sänger und Gitarrist bislang, dazu etliche Live-Mitschnitte von mehreren Tausend Konzerten, die legendäre Bootleg-Serie – insgesamt über 600 selbst verfasste Songs, deren Rechte er jüngst für eine Rekordsumme verkaufte. Doch Dylan ist nicht in Zahlen zu messen, zumal dutzende andere Künstler weitaus mehr Hits produzierten (Dylan hatte nur wenige) und deutlich mehr Platten als er verkauften (120 Millionen Stück). Nein, den laut vielen Kritikern besten Songwriter aller Zeiten misst man nicht in Zahlen. Sondern am profunden Inhalt seiner Songs. Und seinem So-Sein als unikater Künstler in Performance: Songwriter und Sänger, aber auch Schauspieler, Autor und Dichter, Maler.
Sünden, Tugenden, Gnaden
Der britische Literaturwissenschafter Chris Ricks nahm in seinem Buch „Dylan’s Visionen der Sünde“ Songs und Alben des Musikers vor vielen Jahren unter spirituellem Kontext auseinander: Dylans Songs sind demnach eine Kunst, „in der Sünden aufgedeckt (und widerstanden), Tugenden geschätzt (und manifestiert) werden und die Gnaden ein Zuhause finden. Die sieben Todsünden, die vier Kardinaltugenden (Schwieriger zu merken?) und die drei himmlischen Gnaden: Sie machen die Welt von uns allen aus“, so Ricks, „aber die Dylans – im Besonderen.“
Sünden, Tugenden, Gnaden – in jedem der inzwischen fast sechs Jahrzehnte seiner Schaffens- und Bühnenzeit finden sich Belege für diesen Ansatz. 1981 etwa sah Dylan die „Hand des Meisters / in jedem zitternden Espenlaub / in jedem Sandkorn“ („Every Grain of Sand“); 1997 wollte er „versuchen, in den Himmel zu kommen, bevor sie die Tür schließen“ („Tryin’ to Get to Heaven“). Und in „The Times They Are a-Changin’“ singt er seit 1964 in biblischer Anspielung: „Die heute Ersten werden später die Letzten sein / Denn die Zeiten ändern sich“.
Er selbst ist freilich selten Letzter gewesen, dafür umso häufiger der Erste. Als erster Folk-Musiker, der Star der damaligen US-Szene, schloss er 1965 seine Gitarre an einen elektrischen Verstärker an und machte damit den Weg frei für ambitionierte Lyrik in Rock und Pop. Als erster Musiker erhielt er im Jahr 2016 den Literaturnobelpreis; und als dem wohl ersten lebenden Musiker wurde Dylan 2017 ein Uni-Institut gewidmet: das Institute of Bob Dylan Studies an der Universität von Tusla im US-Bundesstaat Oklahoma. In derselben Stadt befindet sich bereits das Woody Guthrie Center, dem einstigen Folk-Idol Dylans gewidmet.
Ohne die Inspiration Guthries, des Protestbarden, der mit seiner Gitarre musisch „Faschisten tötete“, ist auch Dylan kaum zu denken. Vor allem jener Dylan nicht, der zu Beginn seiner Karriere soziale Missstände, Rassismus, Unrecht und Krieg in Worte brutaler Schönheit bettete und etliche Genreklassiker schuf: „Blowin’ in the Wind“, „Only a Pawn in Their Game“, „The Lonesome Death of Hattie Carroll“, „Masters of War“. Letzterer gilt als einer der eindringlichsten Anti-Kriegs-Songs überhaupt, er klagt all die „Kriegsherren“ an: „ihr, die ihr große Bomben baut, euch hinter Schreibtischen versteckt“, „Waffen scharf macht, andere feuern lasst“.
Politisches, Persönliches, Spirituelles – wo ist die Grenze? Bei Dylan jedenfalls ist sie fließend, die Inhalte gehen in seinen Arbeiten erstaunlich synchron und sind mit prägnanten Melodien so oft natürlich symbiotisch. Vom Beginn seines Weges an hat Dylan, Nachfahre osteuropäischer Juden, mit vollen Zügen aus alt- wie auch neutestamentlichen Quellen geschöpft, Profanes und Sakrales verwoben. Ende der 1970er Jahre dann vollzog der Musiker eine Wendung, die bis heute Fragen aufwirft – er deklarierte sich offen als wiedergeborenen Christen.
Die drei Alben, die infolge dieses Erlebnisses entstehen, spalten bis heute die Dylan-Fans auf der Welt. Seither hat er sich wieder darauf besonnen, was er am besten kann: die Camouflage, die Ironie, das Mehrdeutige, ganz dem Diktum folgend, das jemand einst so fasste: „Wenn du mich überzeugen willst, sag es mir nicht direkt.“ Nicht wenige sahen (und sehen) in ihm gerade deshalb den besagten Propheten; mindestens die „Stimme seiner Generation“ der 1960er.
Der so Titulierte wehrte sich gegen dieses Image und konterkarierte immer wieder. Er sei kein Protestsänger, sondern ein „Singund-Tanz-Mann“, sagte er schon damals ironisierend. Seit den späten 1990ern, als sein Stern nach einer schwierigen Phase wieder zu leuchten begann, ließ er sich und seine Songs in lukrative Werbespots für US-Autos einspannen, sang in Spots für Damenunterwäsche, gründete schließlich eine eigene Whiskey-Marke. Dylan scheint mit seinen Zweideutigkeiten, seinen Vor-den-Kopf-Stößen, seinen Nichtfestlegungen vor allem eines zu sagen: Ich bin kein Prophet, und es benötigt niemand einen. „Du brauchst den Wettermann nicht, um zu wissen, in welche Richtung der Wind bläst“, heißt es in einem alten Stück.
Ein harter, harter Regen ...
Keine Frage: Dylans breites Werk bietet genügend Argumente, ihn für den Shakespeare unserer Zeit zu halten. In einem seiner letzten Stücke lieh er sich einen Vers aus dessen „Hamlet“: Sein längster je aufgenommener Song, „Murder Most Foul“, gleicht einer unerhörten musikalischen Reise durch die US-amerikanische Popkultur der letzten sieben Dekaden und thematisiert vielsagend die Ermordung John F. Kennedys. Dylan sprengt hier zugleich die Grenze zwischen Gesang und Rezitation – mit seiner sonoren, tiefen, durchkratzten, vibrierenden Stimme verschmilzt er beides.
Das Stück ist Höhepunkt und Schlussakkord seines letztjährigen Albums „Rough and Rowdy Ways“. Ein Meisterwerk – und geht es nach einem fast sechzig Jahre alten Wunsch des Sängers selbst, nicht das Letzte. „Wenn du mal vorbeikommst, um mich zu sehen, wenn ich 90 Jahre alt sein werde, wirst du mich auf der Bühne finden“, sagte er vor über 50 Jahren. Hoffentlich ist zumindest dies eine ernst zu nehmende Prophezeiung gewesen. Zum Abschluss Dylan in seinen eigenen, übersetzten Worten: dem harten Regen, in dem Patti Smith so schön und würdevoll stolperte:
Was wirst du nun tun, mein blauäugiger Sohn? / (…) ich werde dorthin gehen (...) / Wo das Gesicht des Henkers immer wohlverhüllt ist, / Wo der Hunger gemein und die Seelen vergessen sind, / Wo Schwarz die Farbe ist und das Nichts die Zahl. / Und ich sage es und denke es und spreche und atme es / Und verkünde es vom Berge, so dass alle Seelen es sehen können. / Dann werde ich auf dem Ozean stehen, bis ich beginne zu sinken. / Aber ich werde mein Lied genau kennen, bevor ich es singe. / Und ein harter, harter Regen wird niedergehen.
Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf über 40.000 Artikel aus 20 Jahren Zeitgeschichte – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!
Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf über 40.000 Artikel aus 20 Jahren Zeitgeschichte – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!