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Traumboot und Pferdehalfter

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„SCHLAGER“ gibt es erst, seitdem man Ende des vorigen Jahrhunderts in Wien zündende Melodien aus Operetten und Singspielen Schlager nannte. Der Schlager übernahm dann- rasch die Funktion des Gassenhauers und in eins damit den abschätzigen Klang, der dem Gassenhauer anhaftete, seitdem Herder 1773- das Wort „Volkslied“ geprägt hatte. Bis dahin war ein Gassenhauer ganz einfach ein vokales Stück, das die „Gassenhauer“ ihren Schönen darbrachten, und nach dem wohl auch getanzt wurde. Gassenhauer, das waren Pflastertreter, Gassengänger („hauen“ ist ein altes Kraftwort für gehen, wie heute noch in „hau ab“). Im Gegensatz zum heutigen Schlager wurde der Gassenhauer durchaus kunstmäßig betrieben. So finden sich in den Gassenhauersammlungen des frühen 16. Jahrhunderts Sätze bekannter Meister, Isaacs, Senfls, Hofhaimers u. a. Noch Beethoven hielt es nicht für unter seiner Würde, Gassenhauer zu verarbeiten. Da gibt es Variationen über „Ich bin der Schneider Kakadu" oder versteckt in den Mittelsatz einer Klaviersonate „Ich bin liederlich / Du bist liederlich / Wir sind liederliche Leut’ . . .“ Wenn im 19. Jahrhundert Richard Wagner seinen Beckmesser an Hans Sachs Kritik üben läßt, so ist das ein Anachronismus. Zu Hans Sachs’ Zeiten hatte „Gassenhauer” noch nichts Abschätzige?„,

Bezeichnet Gassenhauer die Art der. Verbreitung, so Schlager die Art der Wirkung, lieber diese Wirkung — ohrenfällige peinliche Aufdringlichkeit — konnte sich schon Heinrich Heine anläßlich des Jungfernkranzliedes aus Webers „Freischütz" beklagen, das damals von den Berlinern auf allen Gassen zum richtigen „Schlager“ zersungen wurde.

Etwa von der Jahrhundertwende an wird „Schlager" mit „Schund" in Verbindung gebracht, und 1925 gibt es ein erstes Schmutz- und Schundgesetz, insbesondere im Hinblick auf die zunehmende Obszönität der Schlagertexte nach dem ersten Weltkrieg. Die harmlosesten hießen damals vielleicht „Laß mich-mal / an deinem Strufnpfband ziehn". Das heutige Pendant wäre vielleicht „Ich möcht’ Geliebte sein von einem Fakir .. . oder „Ob angezogen oder als ein Nackter, / der Nowak hat am ganzen Leib Charakter“.

Jeden Monat erscheinen etwa 600 Schlager- platten, zehn Bis zwölf davon „gehen gut“, weitere zwanzig „gehen“ nur, nur zwei oder drei, also 0,5 Prozent der Gesamtproduktion, sind im kommerziellen Sinne „Schlager“. „Weißer

Holunder“ mit 650.000 verkauften Platten 1956 (120.000 davon allein in der Sowjetzone) liegt noch weit hinter der Platte „Heimweh" / „Sie hieß Mary-Ann“, die in drei Monaten die Millionenauflage bereits überschritten hatte. Im ganzen aber ist das alles, wie auch anderswo, eine Modesache.

Der Schlager ist wurzellos im Sinne der fehlenden organischen Gewachsenheit: das Großstadtmilieu ist der ideale Streubereich des Schlagers, wie die autochthone dörfliche Gemeinschaft Pflanzstätte des Volksliedes war. Eher ähnelt der Schlager schon den Pseudovolksliedern, die in den unpolitischen Vereinen des Biedermeier-Bürgertums ihre ebenso eifrige wie überflüssige Pflege genossen. Das waren Lieder wie „Du, du liegst mir am Herzen ..." und „Schöne Minka, ich muß scheiden..." — dem Inhalt nach durchaus auf der gleichen Stufe wie die heutigen Schlagertexte. Dennoch waren es Gemeinschaftslieder, die ihre Hauptfunktion zusammen mit Stammtisch, Skat und Kegelspiel in der Verwendung als Gesellungsmittel trugen.

DER SCHLAGER - EINE WARE

Der Schlager vermag besonders unmißverständlich über die Normalwünsche und Normalgedanken des modernen Zivilisationsindividuums Auskunft zu geben. Denn die schlagerproduzierende Industrie muß aus Rentabilitätsgründen den Normalgeschmack als Nachfrage interpretieren, dem sie mit dem optimalen Normalschlager als Angebot entgegenkommt. Der Schlager ist eine Ware, die abgesetzt sein will und weit schneller verbraucht wird als die Erzeugnisse anderer Wirtschaftszweige. In der Verbrauchsfrequenz steht der Schlager etwa zwischen Nahrungsmitteln und Textilien. Wie jede Ware muß sich auch der Schlager dem Verbrauchsbedürfnis -auf dem Wege des geringsten Widerstandes anbieten. Und dieser Weg ist: möglichst getreue Abbildung der Durchschnittsvorstellungen vom „nicht schweren Schönen“. In anderer Weise gehorchen dem gleichen Produktionszwang die Illustrierten, eine gewisse Paar- Pfennig-Romanliteratur, die Souvenir- und Kitschgegenstand-Industrie, in beschränkterem Maße auch Film, Funk und Fernsehen.

Nun ist es noch nicht einmal so, daß der normalp Zivilisationsangehörige dfas nicht schwere Schöne , ,an sich will, sondern ęr wählt, es„ weil es ihm besonders unmittelbar „ans Herz geht“.

Oder sogar noch weniger: es bietet dem Leerlauf der Seele (den jeder kennt als das Nichtloskönnen von relativ belanglosen Bewußtseinsinhalten) den geeignetsten Leerlaufanlaß. Mit Schlagern — die dann „bis zur Ohnmacht" immer und immer wieder abgespielt oder heruntergesungen sein wollen — läßt sich dieser Leerlaufbedarf besonders zweckmäßig decken.

STEREOTYPE INHALTE

Von hier aus gesehen versteht es sich fast von selbst,- daß in den Schlagertexten bestimmte schematische Inhalte auftauchen, die von Schlager zu Schlager nur geringfügig variiert werden. Solche topoi sind Liebesabschied („Ich sage dir adieu / es war wunderschön...“, „Sag beim Abschied leise Servus..„Zum Abschied reich’ ich dir die Hände ...' usw.) und ewige Treue („Ein ganzes Leben lang / sollst du dies Ringlein tragen ..„Niemals lass’ ich dich allein...“, „Blau ist die Treue / und ich bin dir treu..usw.) bzw. als Treueersatz das Nievergessen („Es war einmal / vorbei ist nun das Märchen / doch seltsam, ich denk’ nur an dich ... usw.). Unerschöpflichster aller topoi ist die Liebeserfüllung, das lebenswendende Wunder, das als „so groß" gesehen wird, daß es nur Traumwahrheit besitzen kann. Glück, Märchen, Traum, Wunsch, Liebe, Herz, Du, Paar sind auch die dazugehörigen Stereotypvokabeln („Ich weiß / es wird / einmal ein Wunder ge- schehn...", „Ich möchte jede Nacht von Ihnen träumen. ..", „Ich tanze mit dir in den Himmel hinein .. .“, „Liebe ist ja nur ein Märchen ...“, „Wie ein Wunder kam die Liebe ..usw.). Besonders beliebt ist eine Variante des Traum- glücktopos: das Allein-zu-zweit-Sein am locus amoenus, am „lieblichen Ort“, der oft exotisch gefärbt ist. Als solche romantisierende Exotismen tauchen auf: Hawaii, Südsee, Mexiko, Italien (Neapel, Venedig, Capri...), aber auch allgemeiner: die Heimat (mit Wald, Heide,

Almen, Glocken, Kinderzeit, der Liebsten — den Ingredienzen auch der Heimatfilme) und immer wieder jene alte Landschaftstopos mit Bank, Linde, Tal, Bach, Rosen, Sonne, Nachtigall, wie er schon in Walthers Tandaradelied erschien („Under der linden / an der heide / ... vor dem walde in einem tal / tandaradei / schone sanc diu nahtegal / ...“). Verkörpert etwa die

„Försterliesl“ die eine Variante („Am grünen Wald / dort wo die Rehlein grasen ...“), so erscheint die andere besonders exemplarisch in folgendem Schlager:

„Steig in das Traumboot der Liebe, fahre mit mir nach Hawaii, dort auf der Insel der Schönheit wartet das Glück auf uns zwei.

Die Nacht erzählt unsį ein Märchen und macht das Märchen auch wahr.

Steig in das Traumboot der Liebe, bald sind wir beide ein Paar."

Mann und Frau erscheinen in den Schlagern auf wenige allgemeinste Merkmale reduziert. Er als donjuanesker ttüebesheld und Quasi-Abenteurer (Matrose, Zigeuner, Torerp, Gondoliere und so weiter), sie als unspezifizierte Schönheit, deren hervorstechendstes Signum die roten Lippen sind („Zwei rote Lippen und ein roter Tarragona / und du bist glücklich / mit deiner Donna...").

Neben dem Traumglück nimmt der topos der ewigen Treue zu Ding und Tier einen unerwartet breiten Raum ein. Da ist der „Pferdehalfter an der Wand“, der den alten Cowboy an sein Pony erinnert, das ihm das Leben rettete. Da ist der weiße Holunder („Du bleibst mir treu / blühst immer aufs neu"), da ist das Pony Jonny („Alles verstehn mein süßes Pony / ja, ja, mein Jonny weint und lacht mit mir“). Da ist der Bettler und sein Hund (Treue — Erdenrund — nur Mensch und Tier — Bettler — Hund). Und da ist der bänkelsängerische Moritatenschlager vom Seemann, der („am 19. Mai ... vor der Hudsonbai") mit seinem Schiff untergeht („Sie hieß Mary-Ann / und sie war sein Schiff / er hielt ihr die Treue / was keiner begriff“).

Schließlich finden sich in sehr vielen Schlagern lebensberatende Sentenzen auf dem Niveau einer oberflächlichen communis opinio: „Mach dir nichts daraus, wenn der Himmel weint „Tu die Sorgen in ein Gläschen Wein...“, „Es wird ja alles wieder gut...“, und jener Wunschkonzertschlager des vorigen Krieges „Es geht alles vorüber ...“, der in makabrer Ironie das Maidatum, an dem alles schließlich vorüber war, vorausdiagnostiziert hatte.

Hierher gehören auch die jüngst auf dem Markt erschienenen „religiösen“ Schlager, die weiter nichts sind als der Erweis für die Ver- schnulzbarkeit auch religiöser Themen. Und das heißt: der Erweis dafür, daß das Religiöse im Seelenhaushalt des Durchschnittsmenschen oft nur eine sentimentale Existenz führt.

EFFEKT UND LULLUNG

Die konstitutionelle Neutralität der Schlagertexte — keine Partei, keine Konfession, niemand darf verletzt werden — und die schematischen Stereotypinhalte (in Orwells „1984“ werden Schlager von einem „Versifikator“ maschinell getextet) fordern als Gegengewicht eine allergrößte Effekthascherei. Solche Effekte werden von den Textern als ausgefallene Reime oder extravagante Inhalte angebracht: „Der Theodor / im Fußballtor", „Ihab rote Haar / feuerrote Haar sogar“; „Wenn ich mit meinem Dackl / von Grinzing heimwärts wackl“, „Ich wollt, ich war ein Huhn / dann hätt ich nichts zu tun“ und „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad", „Ausgerechnet Bananen" usw. ' Wie die Schlagertexte, so müssen auch die Melodien „in den Ohren kleben“ („Mariandl- andl-andl“). Sie bedienen sich deshalb vergangener Musikstile, die längst gängig sind (so ging z. B. der Swing der dreißiger und vierziger Jahre, sehr gemäßigt und geglättet natürlich, erst nach dem Kriege in die Schlagermusik ein). Simpel diatonisch sind sie meist terz- und sext- orientiert, Modulationen gehen allenfalls in die Mediante (so in „O mein Papa“). Instrumentation und Besetzung kommen unmißverständlich dem Starkult entgegen: gemischtes Orchester, das im Gegensatz zur Jazzband die Streicher bevorzugt, Harfe, Zither, Geräuschimitation, Echo- und Halleffekte, und vor diesem

Vom Schlager erschlagen

Hintergrund in brillantem Hochglanz das Solo. Up to date ist eine Chorunterlegung, die sich als klanggewordene Verschwommenheit gibt und für den Hörer ein latentes Stimulans zur Lullung — nicht etwa zur gesunden Entspannung — darstellt (besonders „ans Herz gehen“ Kinderchöre).

SCHEINWELT UND KITSCH

Eine seltsame Scheinwelt, die in den Schlagern gegenwärtig ist! Eine Scheinwelt, die aber immer wieder Realitätscharakter bekommt, indem die Illusionstopoi vom Schlagerkonsumenten wiederum zu Wunsch- oder gar Handlungsmodellen aktualisiert werden. Eine Welt, deren einzige Relevanz die Sehnsucht nach Daseinserfüllung im Liebesglück ist und die als Kon-, kretisierung einen Pseudoexotismus bevorzugt. Das heißt: eine Welt sentimental-romantischer Alltagsbefreiung, dargeboten in der Weise aufdringlicher Schmissigkeit oder ebenso penetranter Rührseligkeit.

Kitsch entsteht immer aus dem Zusammentreffen des Kitschbedürfnisses mit dem dafür geeigneten Objekt. Ein Gegenstand für sich ist noch nicht kitschig. Jeder Mensch hat seinen meist uneingestandenen Privatkitsch — das nicht schwere Schöne als Gegenstand für den notorisch süßen Seelenleerlauf. Die Praxis der Schlagerindustrie besteht darin, dem allzu menschlichen Kitschverlangen auf breiter Basis entgegenzukommen. Das Bedenkliche eines solchen Unterfangens ist die Fraglosigkeit, mit der der normale Zivilisationsmensch durch den Schlager in seiner kitschigen Gewöhnlichkeit eigens bestätigt wird, und dies aus rein kommerziellen Erwägungen. Hier im Bereich des Schlagers — und nicht nur hier — erweist sich die Oeffentlichkeit als Amorphum von zäher Eigengesetzlichkeit. Einer Gesetzlichkeit, die durchaus nicht im Einklang mit den von der Oeffentlichkeit hochbewerteten Idealen der Humanität steht. Der Mensch als Glied einer kommerziell orientierten Gesellschaft wird nicht in seinen humanen Möglichkeiten ernst genommen, sondern lediglich auf sein Allzumenschliches hin als kalkulierbarer Faktor in einer Warenproduktion eingesetzt.

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