Ein Ausweg aus Entfremdung

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Im Idealfall ist die Ehe ein Bund fürs Leben: "Ein Weib gefunden - Glück gefunden und Huld erlangt vom Ewigen" (Spr 18,22). Deshalb sieht der Talmud Scheidung als Tragödie an: "Der Altar selbst vergießt Tränen, wenn ein Mann sich vom Weib seiner Jugend trennt." Die ausführlichste Regelung zur Scheidung in der Tora steht in Deuteronomium 24: "Wenn jemand eine Frau nimmt und sie ehelicht, sie verliert aber nachher seine Gunst, indem er etwas Schändliches ('erwat dawar) an ihr wahrgenommen hat, er ihr einen Scheidebrief schreibt, ihr in die Hand gibt und sie aus seinem Haus lässt, sie verlässt sein Haus, geht hin und wird eines anderen Frau, dieser zweiter Mann wird ihr auch gram, schreibt ihr einen Scheidebrief, gibt solchen ihr in die Hand und lässt sie aus seinem Haus, oder der zweite Mann stirbt, der sie zur Frau genommen hat, dann darf sie der erste Mann, der sie von sich gelassen hat, nicht wieder zu sich nehmen, dass sie seine Frau werde, nachdem sie sich hat verunreinigen lassen, denn dies ist vor dem Ewigen ein Gräuel."

Aus dieser Textstelle in der Tora ersehen wir nicht nur Details zum Scheidungsgesetz, sondern auch, dass Scheidung im Judentum ein völlig normaler Vorgang ist. Er ist ziemlich kompliziert, um durch die Verzögerung Gelegenheit zum Nachdenken und damit möglicherweise auch zur Versöhnung zu geben. Dennoch erkennt das Judentum an, dass Scheidung ein notwendiger Ausweg sein kann. Als ethischer Vorbehalt gegen die Scheidung wird oft genannt, dass das Auseinanderbrechen der Familie den Kindern schade und die Stabilität der Gesellschaft unterminiere. Aber es ist auch ein spirituelles Übel. Es bricht eine geheiligte Verbindung. Aus jüdischer Sicht ist es jedoch dem Prinzip der Heiligkeit der Ehe sogar dienlich, wenn die Scheidung einen Ausweg aus Entfremdung und Zerrüttung bietet. Denn wo die Ehe ihren spirituellen Kern verloren hat, wird auch ihre Heiligkeit verletzt.

Der Autor, Rabbiner, ist Prof. f. Jüdische Religionsphilosophie der Neuzeit an der Uni Potsdam

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