Ein Leben für ein Theater, das weh tun sollte

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Im November 2004 erschien Hans Gratzer zum letzten Mal in der Öffentlichkeit: Unter Standing Ovations nahm der von einer Krebserkrankung gezeichnete große Theatermacher den "Nestroy" für sein Lebenswerk entgegen, den er wie kaum ein anderer verdient hat. Vergangenen Mittwoch ist er im Alter von 63 Jahren verstorben.

Mit bewundernswerter Konsequenz und ungebrochenem Enthusiasmus brachte Gratzer Jahrzehnte hindurch als Pionier der Off-Szene internationales Flair ins Wiener Theaterleben, förderte junge österreichische Autoren und war, nicht zuletzt mit seinen Ausflügen ins Musiktheater, immer wieder für Neuorientierungen gut. Es fällt schwer, von Hans Gratzer in der Vergangenheit zu sprechen und über all den posthumen Würdigungen nicht darüber hinwegsehen darf, dass gerade die letzte Phase seines künstlerischen Schaffens zu seinen Lebzeiten unbedankt geblieben ist.

Gratzer war Teamarbeiter und zugleich Einzelkämpfer. Nach einem abgebrochenen Studium am Reinhardt-Seminar schien eine Karriere als Schauspieler an großen Häusern vorgezeichnet. Doch als die 68er-Generation gegen die "etablierten" Institutionen opponierte, machte sich auch Gratzer in der Off-Szene mit seiner "Werkstatt" selbständig und erzielte mit der Inszenierung von Fosters "Elisabeth I." einen sensationellen Erfolg. Im Frühjahr 1978 eröffnete er das "Schauspielhaus", das bald zur international beachteten Off-Bühne wurde. Gratzers Theaterästhetik und sein Repertoire mit gegen den Strich inszenierten Klassikern waren revolutionär, doch er selbst verzichtete darauf, sich in seinem Auftreten als Revoluzzer zu gebärden. Sein Ziel war inhaltlich und ästhetisch mitreißendes, oft genug schockierendes Theater, das als nachwirkendes Erlebnis auch "weh tun" sollte. So setzte er sich mit Nachdruck für eine Dramatik ein, die von unserer Gesellschaft verdrängte und tabuisierte Themen öffentlich machte.

Die überraschende Berufung des "Theaterzerstörers" Gratzer zum Direktor der Josefstadt wirbelte schon im Vorfeld viel Staub auf. Doch Gratzer sah dieser Herausforderung mit Begeisterung entgegen. Seine Vision war ein "österreichisches" Vorzeige-Theater. Man ließ ihm keine Zeit, diese Vision zu verwirklichen. Wie unter Gratzers Kurzzeit-Direktion in dem Augenblick, als mit seiner Inszenierung von Raimunds "Alpenkönig und Menschenfeind" die Anfangsschwierigkeiten überwunden schienen, ein Schlussstrich gezogen wurde, gehört zu den unrühmlichen Kapiteln der Wiener Theatergeschichte. Der sensible Theatermacher enthielt sich jedes Kommentars. Vielleicht war es ihm eine späte Bestätigung, dass einige von ihm verantwortete Inszenierungen erfolgreich ins Repertoire der nächsten Spielzeit übernommen wurden.

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