Eine Saga vom Scheitern

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Die neue Biographie Walter F. Scotts, der den Südpol erreichte und auf dem Rückweg starb.

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Die neue Biographie Walter F. Scotts, der den Südpol erreichte und auf dem Rückweg starb.

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Am 12. November 1912 entdeckte eine norwegische Suchmannschaft im blendenden Weiß des antarktischen Eises das schneebeladene Zelt mit den Leichen von Kapitän Scott und zwei seiner Gefährten, nur 20 Kilometer entfernt vom rettenden Lebensmittel- und Brennstofflager. Zwei Teilnehmer der britischen Expedition fehlten. Die Umstände ihres Todes wurden erst aus Scotts Tagebüchern bekannt.

Robert F. Scott war mehr als ein Jahr zuvor aufgebrochen, um am Südpol die britische Fahne zu hissen. Aber ein anderer, der norwegische Forscher Roald Amundsen, war ihm zuvorgekommen. Die ganze Welt erfuhr von der Niederlage der Briten, doch wurde dem Verlierer posthum größerer Ruhm zuteil als dem Sieger. Die englische Historikerin Diana Preston fragt in ihrer neuen Biographie "A First Rate Tragedy" nach den Gründen für die höhere Wertschätzung Scotts gegenüber Amundsen. Ihr spannendes Buch ist jetzt auch auf Deutsch erschienen: "In den eisigen Tod. Robert F. Scotts letzte Fahrt zum Südpol". Ein tragisch Gescheiterter, dies ist eine ihrer Schlussfolgerungen, einer, der auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn stirbt, selbst der heroische Versager, bleibt anders, stärker, im Gedächtnis der Nachwelt als einer, dessen Lebensstrom nach einer Großtat dann in flachere Gewässer mündet.

Diana Preston ortet als einen der wichtigsten Gründe für die Heroisierung Scotts allerdings die historische Situation: Nach dem Tod von Königin Victoria, die 63 Jahre auf dem britischen Thron saß, wurden Vergleiche zwischen der Situation Großbritanniens und dem Untergang des Römischen Reiches angestellt. Überall herrschte Streit, im Parlament, zwischen Gewerkschaften und Unternehmern, die Schatten eines großen Krieges lagen auf Europa. Scotts Ziel, auf dem noch kaum bekannten antarktischen Kontinent zum Südpol vorzudringen, zeigte, dass Werte wie Mut, Tapferkeit, Ausdauer, Treue, ja Selbstaufopferung noch etwas galten. Scott erschien seinen Landsleuten nicht nur als Mann der Tat, er besaß außerdem ein beachtliches literarisches Talent. Seine Schilderung, wie Rittmeister Oates mit den Worten, er werde für einige Zeit verschwinden, in den Schneesturm hinaustaumelte, rührte das Herz der ganzen Nation. Hier handelte einer, der wusste, dass er mit seinen erfrorenen Füßen nicht weiterkonnte, wie ein echter Gentleman: um die Gefährten nicht zu belasten, ging er freiwillig in den Tod.

Heroismus pur. Scott ließ die Leser seiner Tagebücher (die beim Toten gefunden wurden) auch an der Enttäuschung teilhaben, die die norwegische Flagge am Südpol bei ihm auslöste. Genau beschrieb er die psychologisch verheerende Wirkung, die die Männer noch mehr schwächte als das entsetzliche Wetter, die erfrorenen Gliedmaßen, der Hunger, die Probleme mit der technischen Ausrüstung. Scotts Tagebücher machen die Sehnsucht spürbar, auf dem Rückweg vom Pol doch noch gerettet zu werden.

Einen weiteren Grund, Scott zu verklären, sieht die Autorin in seinem Gegenspieler. Amundsen hatte seine Absicht, den Südpol zu erreichen, so lange verheimlicht, bis Scott bereits auf dem Weg war. Dann machte er aus den beiden Expeditionen ein Wettrennen, bei dem er die besseren Karten hatte. Er war erfahrener als Scott und mit Hunden und Skiern unterwegs, während Scott und seine Leute die Schlitten selber zogen. Schließlich trug zu Scotts Nimbus das Ziel seiner Expedition selbst bei: der unwirtlichste und gefährlichste aller Kontinente, kälter und isolierter als irgend ein anderes Gebiet dieser Erde.

Es wäre möglich gewesen, ein Buch über Scott zu schreiben, in dem hauptsächlich seine Fehler zur Sprache gebracht worden wären. Vielleicht wäre Diana Preston damit mehr im Trend der heroenfeindlichen Zeit gelegen. Sie hat einen anderen Weg gewählt. Englische Kritiker verliehen ihrem Buch das Prädikat "atemberaubend". An langen Winterabenden kann ihre Biographie Robert F. Scotts jedem TV-Krimi Paroli bieten.

In den eisigen Tod - Robert F. Scotts letzte Fahrt zum Südpol.

Von Diana Preston. Übersetzung: Sylvia Höfer, Deutsche Verlags Anstalt, Stuttgart 2000, 360 Seiten, geb., öS 364,-/e 26,45

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