Der schönste Tag - © Stadtkino

"Der schönste Tag": Dekonstruktion des Bildes vom „ersten Opfer des Nationalsozialismus“

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Heinz Krausz ist einer der Überlebenden der Schoa, die in Fabian Eders Film „Der schönste Tag“ zu Wort kommen. Er versucht, seinem Enkel Theo die Dringlichkeit der Erinnerung zu vermitteln.

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Heinz Krausz ist einer der Überlebenden der Schoa, die in Fabian Eders Film „Der schönste Tag“ zu Wort kommen. Er versucht, seinem Enkel Theo die Dringlichkeit der Erinnerung zu vermitteln.

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Fabian Eders Dokumentarfilm „Der schönste Tag“ beginnt mit dem Bild der Demontage eines Bildes: Während aus dem Off blechern und laut die Rede Hitlers zu hören ist, die er im März 1938 auf dem Wiener Heldenplatz gehalten hat, zerlegen nun, ziemlich genau 80 Jahre später, zwei Handwerker ein paar Aufsteller, die zusammen den Satz ergeben:

„11. März 1938: Österreich – Erstes Opfer des Nationalsozialismus.“ Frenetischer Applaus (von der Rede aus dem Off) übertönt die Abbauarbeiten (dieses „Bildes“ von Österreich), aber selbst bittere Ironie scheint fehl an diesem Platz: die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau, welche 40 Jahre lang ihre Ausstellung unter diesem Titel führte. Bis der Diskurs über historische, kulturelle und gesellschaftliche Narrative sie – lang überfällig – einholte. „Wenn du der Meinung bist, Österreich ist das erste Opfer Hitlers, dann muss man die Leichenberge in den Boden stampfen“, formuliert es Autor Doron Rabinovici in Eders Film als einer von vielen „Talking Heads“,die Eder entweder im Gedenkstätte-Setting oder in einem Zugabteil filmt.

„Der Staat Österreich war Opfer, aber viele Österreicher waren Täter“, differenziert Gerhard Kastelic vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes das Narrativ der opportunistischen Wahl. An anderen Stellen des Films unterhalten sich Überlebende mit ihren Enkel(inne)n während einer (simulierten) Zugfahrt, deren Endstation man ahnen kann. Diese Szenen sind weder hervorragend inszeniert noch wirklich gut gesprochen, aber sie vermitteln die Dringlichkeit, sich die Funktionsweise von Narrativen als symbolische Konstruktionsform immer wieder bewusst zu machen.

Eine Konstruktion, die Dissonanz in Konsonanz überführt. Hier ein (vermeintlich fahrendes) Zugabteil, in dem das Dissonante aus den Gesprächen in einen kontinuierlichen Zeitfluss gebracht wird. Die Leistung von Eders Film kann hier sein, dabei aber nichts Irritierendes zu löschen. Das gelingt zum Großteil gut, auch weil er sich manchmal hinbewegt zu einer Bestandsaufnahme Österreichs heute: Eder zeigt Szenen halbherziger Gedenkveranstaltungen, eher bierselige Feste zu Ehren gefallener Soldaten, schwenkt über verschwindende jüdische Friedhöfe, streift den von rechter Seite populärer werdenden Wunsch nach einem Ende der vermeintlich überzogenen Erinnerungskultur. Hannah Lessing, Generalsekretärin des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus, und mitverantwortlich für eine Neuausrichtung der Ausstellung in Auschwitz-Birkenau, berichtet von einem Gespräch mit ihrem Vater. Was könne sie in ihrer Position heute für ihn tun? Ihm die Kindheit zurückbringen?, fragt er zurück.

Der Mensch lebt durch die Erinnerungsräume des kommunikativen, kollektiven Gedächtnisses. Dort stirbt er auch. Was Eders Film schafft, muss Kulturauftrag sein: dieses Bewusstsein latent zu halten.

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