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Sizilianische Fehlplanung

18Kilometer müssen die Einwohner des sizilianischen Städtchens Gibellina reisen, um durch ihren alten Ortskern zu wandern - der Bildhauer Alberto Burri hat den Schutt, der nach dem Erdbeben 1968 übrigblieb, unter Beton konserviert, zur Landschaftskunst gemacht. In Gibellina Nuova derweil, irgendwo in den leeren Straßen, steht eine Bauruine, die Kirche werden sollte. Messe will der hiesige Pfarrer dort keine abhalten, selbst wenn sie jemals fertig würde. - Grandios bündig porträtiert Joerg Burger mit "Gibellina - Il terremoto" eine Gemeinde, die nicht durch eine Naturkatastrophe, sondern durch den folgenden Wiederaufbau zerstört wurde. Die herbeigerufene Kunst konnte die von der verfehlten Stadtplanung geschlagenen Breschen nur räumlich füllen: Gibellina ist heute ein Freilichtmuseum, in dem sich eine Vielzahl von Künstlern heimisch fühlt, jedoch keiner ihrer Resteinwohner. Zwischen Burgers Aufnahmen der Ortsansässigen und starren Betrachtungen der Skulpturen entwickeln sich zwei grundlegende Fragen: nach der Rolle der Ästhetik in der Kunst und nach jener bedenklichen Argumentationskunst, die offensichtliche Missstände schönredet. (Thomas Taborsky)

Gibellina - Il Terremoto

A 2007. Regie: Joerg Burger. Verleih: sixpackfilm. 72 Min.

Österreichischer Kultverdacht

"Contact High", das ist ein Drogenerlebnis der anderen Art: Eine Person konsumiert Drogen, die andere bleibt sauber, verspürt aber nach kürzester Zeit genau dieselbe berauschende Wirkung. Um dieses Phänomen herum stricken Regisseur Michael Glawogger und Drehbuchautor und Hauptdarsteller Michael Ostrowski ihre Absurditätensammlung "Contact High", in der Kleinkriminelle (darunter Detlev Buck, Pia Hierzegger und ein herausragender Georg Friedrich) einer ominösen Tasche bis nach Polen nachjagen. Nach "Nacktschnecken" ist "Contact High" Glawoggers zweiter Film der Trilogie "Sex, Drugs & Rock'n'Roll", in der er mit surrealen Bildern und Wiener Schmäh zwischen Avantgarde und peinlicher Derbheit hantiert: Road Movie, Drogenrausch und Actionkomödie zugleich, die in bunten Bildern schillert und beinahe wie ein Tarantino-Film montiert ist. Ein Lustspiel der anderen Art, das durchaus das Zeug zum Kultfilm hat. (Matthias Greuling)

Contact High

A 2009. Regie: Michael Glawogger. Mit Michael Ostrowski, Georg Friedrich,

Detelv Buck. Verleih: Lunafilm. 98 Min.

Sprachlose Schönheit

Einer mag nicht mehr leben. Seine geliebte Frau ist gestorben. Er kündigt seinen Familienmitgliedern per Brief an: Am Sterbetag seiner Liebsten hat auch er vor, zu gehen. Und die Familie? Die Tochter ist verletzt, will nicht mehr mit dem Vater reden und zieht sich vor ihrem eigenen Mann zurück. Die eine Enkelin ist verärgert, nimmt den Alten nicht ernst, und igelt sich ein in ihre eigenen kaputten Beziehungen und vergisst ganz ihre eigenen Kinder. Und die andere Enkelin, mitten in einem Lebensumbruch, bekommt den Brief nicht einmal … Die niederländische Regisseurin Nanouk Leopold baut in "Wolfsbergen" auf der Geschichte von vier Generationen einen hochstilisierten, sehr stillen Film in fantastisch inszenierten Innen- und Außenaufnahmen. (Magdalena Miedl)

Wolfsbergen.

B/NL 2007. Regie: Nanouk Leopold. Mit Tamar van den Dop, Fedja van Huet. Verleih: Stadtkino. 93 Min.

Türkische Bedrückung

Riza ist der Protagonist im gleichnamigen Film, dem zweiten des Regisseurs Tayfun Pirselimo\0x02D8glu, der in Wien an der Universität für angewandte Kunst Malerei studiert hat. Riza ist Lastwagenfahrer. Sein LKW ist in der Werkstatt, daher kann er nicht arbeiten und seine Existenz ist gefährdet. Mit allen Mitteln versucht er, Geld für die Reparatur aufzutreiben. Gefühle von Isolation und Hoffnungslosigkeit ziehen sich durch den Film. Die schäbige Pension, in der Riza unterkommt, ist bevölkert von Gestalten - etwa einem alten Afghanen, der mit seiner Schwiegertochter auf dem Absprung nach Italien ist -, deren Tage von quälendem Warten bestimmt werden. In seiner Verzweiflung und Rastlosigkeit tötet Riza den Afghanen, obgleich dieser ihm seine Freundschaft angeboten hat. Jedes Bild spricht nun mit einer großen Präzision von der Schwierigkeit, mit der Sünde zu leben. Mit Riza wird Istanbul auf die Landkarte der ungesühnten Verbrechen eingetragen, näher an Raskolnikoffs Petersburg als an dem London aus Woody Allens "Matchpoint". Die bedrückende Studie eines Niedergangs läuft am 18. und 22. April im Rahmen von SINEMATÜRK, der türkischen Filmwoche in Wien (16.-23.4.). (Rudolf Preyer)

Riza

TK 2006. Regie: Tayfun Pirselimoglu. Mit Riza Akn, Nurcan Eren, Hayati

Pirselimoglu. Verleih: Zuzi. 109 Min.

Europäische Fahrgemeinschaft

Dacia Express", so heißt der Nachtzug, der Wien mit Bukarest verbindet. Eine Zugsverbindung alten Stils, denn für die Strecke zwischen der Donaumetropole und der rumänischen Hauptstadt braucht man 17 Stunden - und das auch nur, wenn der Zug pünktlich ist. 14-mal ist der Wiener Filmemacher Michael Schindegger mit diesem Zug gefahren und hat dabei seine Mitreisenden gefilmt - und daraus den Dokumentarfilm "Dacia Express" gestaltet: ein beeindruckendes Zeugnis der Fahrt zwischen zwei Welten Europas; Da schimpft ein Moldawier auf Wien, zwei rumänische Frauen erzählen vom Besuch bei ihren Kindern in Deutschland oder ein nicht ganz nüchterner Roma-Angehöriger sinniert, warum er nie in eine Schule gehen konnte: faszinierend, wie auf solchen Reisen "Zuggemeinschaften" entstehen.

(Otto Friedrich)

Dacia Express

A 2008. Gergie: Michael Schindegger .

Verleih: Top. 55 Min.

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