Fürs goldene Wiener Hirn
Ende 2001 wird Wien eine neue Hauptbibliothek haben, die nicht nur Leser, sondern auch Stadtflaneure ansprechen soll.
Ende 2001 wird Wien eine neue Hauptbibliothek haben, die nicht nur Leser, sondern auch Stadtflaneure ansprechen soll.
Große Bibliotheken sprießen in Vancouver, Rotterdam oder San Franciso aus dem Boden. Wien zieht nach. Statt der von Baumeister Richard Lugner forcierten, mittlerweile ad acta gelegten "Wolkenspange" soll eine neue Hauptbibliothek den Gürtel beleben. Am besten vierundzwanzig Stunden lang.
Der Gürtel soll vom Rotlichtviertel zur Kunstmeile werden. Nach der Sanierung einiger Stadtbahnbögen stellte ein Architekturwettbewerb die Weichen in eine bessere Zukunft. "Das Haus am Gürtel. Wiens neue Hauptbibliothek" soll rund 280 Millionen Schilling kosten und Ende 2001 fertig sein. Ein Modell des zukünftigen Treffpunkts für Wiener Leser und die besten der 121 eingereichten Entwürfe sind noch bis 13. Februar im Akademiehof ausgestellt. Die Lesebar, ein Cafe und der Verkehr des Getreidemarkts geben stimmungsmäßig einen Vorgeschmack auf die Atmosphäre, die am Urban- Loritz- Platz herrschen wird.
Der Grundstein des Siegerprojektes ist noch nicht gelegt, trotzdem hat die neue Bibliothek schon einen Namen in der Presse: "Büchertreppe". Das freut den relativ unbekannten, mit 47 Jahren noch jungen Architekten Ernst Mayr. Der überraschende Sieg seines Entwurfs bei einem großen internationalen Wettbewerb hat ihn "aus den Socken gehaut", erinnert er sich. Dabei hat sich Mayr schon früher intensiv mit dem Thema beschäftigt: "Als Student habe ich eine kleine, gläserne Bibliothek geplant. Auch meine Diplomarbeit in der Meisterklasse Holzbauer war eine Bibliothek" "Es kann nichts Schlimmeres passieren, als wenn sich ein Wunsch nach zehn Jahren endlich erfüllt", erklärt Alfred Pfoser, der Leiter der Wiener Städtischen Büchereien. Denn für die bricht ein neues Zeitalter an: Die kleinen, versteckten Filialen in den Außenrandbezirken mit volksbildnerischem Charakter haben ausgedient. Statt der 180.000 Bücher, die momentan noch in der "aus allen Nähten platzenden" - so der Wiener Planungsstadtrat Bernhard Görg - Bibliothek in der Skodagasse Platz finden, werden im neuen Bau 300.000 Lesewerke stehen. "Mit der neuen Hauptbibliothek beginnt eine neue bibliothekarische Zukunft. Auch in Wien herrscht nun Internationalität! Wir haben einen jungen Wiener Dominique Perrault," schwärmt Stadträtin Grete Laska. Den Rang von Frankreichs großer Nationalbibliothek, die von Perrault geplant wurde, wird sie allerdings kaum erreichen. "Wir haben ja gar nicht den Anspruch, die Nationalbibliothek zu ersetzen, das ist eine andere Liga," räumt Görg Mißverständnisse aus.
Literaten jubeln schon jetzt: Sie werden im Neubau Möglichkeiten zur Nutzung neuer Medien finden. Alfred Pfoser denkt sogar an eine Rund-um-die-Uhr-Nutzung, Bücher sollen per Automat zurückgebracht werden können. Nachtaktivität kann auch literarisch sein.
Ernst Mayrs Entwurf schwebt mit einer gläsernen, bodennahen Zone hoch über dem Verkehrsgetöse des Gürtels. Eine Stahlbetonwand, mit österreichischer Literatur beschriftet, schützt den Lesebereich wie "etwas Kostbares" und läßt die Außenwelt in Form von Licht hinein. Autolärm und die Schwingungen der U-Bahn sollen für den Leser, der in oberlichtdurchfluteten Nischen sitzt, nicht spürbar sein.
Die eindeutige, bestechende Form des langen Baus und die charakteristische Treppe auf die Dachterrasse haben die elfköpfige Wettbewerbsjury überzeugt. "Wiens neue Hauptbibliothek" ist ein neuer kultureller Impuls für den Gürtel. "Wenn man die Treppe hochsteigt, kommt man nicht auf eine zugige, windige Platte, sondern auf einen kleinen, deutlich eingefaßten Marktplatz," schildert Mayr seine Vision der attraktiven Dachlandschaft. Von dort genießt man vielfältige Ein-und Ausblicke. In die Bibliothek und auf das Treiben des Gürtels. Außerdem lädt ein Cafe zum Innehalten und Genießen. "Die neue Bibliothek soll nicht nur den Leser ansprechen, sondern auch den Stadtflaneur," wünscht sich Görg: "Wir wollen nun einmal nicht etwas fürs Goldene Wienerherz tun, sondern etwas fürs Goldene Wiener Hirn."
Bis 13. Februar Akademiehof, Getreidemarkt 3-4, 1010 Wien