Gebrochene Menschen und ein Sehnsuchtsland

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Das Genre Spielfilm stellt für die Diagonale eine besondere Herausforderung dar. Keine Frage: Das Filmland Österreich reüssierte damit international. Doch die einschlägigen Beispiele (zuletzt Karl Markovics’ "Atmen“ oder "Michael“, siehe Interview oben) erleben ihre Premiere fast nie beim heimischen Festival - Cannes und Co. sind ohne Zweifel eine unerreichbare Konkurrenz. So erwies sich der Dokumentarfilm (etwa anno 2011 "Abendland“ von Nikolaus Geyrhalter) meist als weitaus bessere Wahl denn ein Spielfilm aus der zweiten Reihe.

Zuletzt litt vor zwei Jahren der damalige Eröffnungsfilm "Der Kameramörder“ unter diesem Manko. Die Verfilmung des Romans von Thomas Glavinic kam einfach nicht an die - medienkritische - Brisanz der Vorlage heran - ein Thriller der Mittelklasse.

Dennoch ist das Anliegen der Diagonale berechtigt, auch wieder das Feld des heimischen Spielfilms abzustecken. So entschied sich diesmal die Festivalleitung für Anja Salomonowitz’ "Spanien“, der zuvor schon in der Reihe "Forum“ auf der Berlinale zu sehen war.

Zumindest als ungewöhnlich bzw. ungewohnt ist dieser streng komponierte Spielfilmerstling der Dokumentarfilmerin ("Kurz davor ist es passiert“ 2006) anzusehen. Dazu kommt, dass mit dem Schriftsteller Dimitré Dinev als Ko-Autor ein Literat für den Plot gewonnen wurde.

Der moldawische Flüchtling Sava will eigentlich nach Spanien. Aber er strandet auf seiner teuer bezahlten Schlepperei irgendwo im Weinviertel - und trifft dort auf Menschen, die in einem dunklen Beziehungsgeflecht mehr oder weniger miteinander verbunden sind. Die Restauratorin Magdalena, der Fremdenpolizist und eheliche Gewalttäter Albert, der Kranführer Gabriel, der sich und seine Familie mit seiner Spielsucht ins Unglück stürzt. Und daneben allerlei halbweltliche Gestalten, denn die Spielsucht will ebenso wie die Schlepperei finanziert werden.

Der örtliche Pfarrer liest den gestrandeten Sava auf, Magdalena begegnet ihm bei der Restaurierung der Kirche. Sie sucht ihre dunklen Ehe-Erfahrungen durch Ikonenmalen zu bewältigen. Sie sucht Gesichter dafür - und hierbei kommen Sava und Magdalena einander näher.

Spanien - ein anderes Wort für Elysium

Doch der geheimnisvolle Flüchtling mit dem Namen eines prominenten orthodoxen Heiligen träumt weiter von seinem Elysium, das sich hinter der Chiffre "Spanien“ verbirgt.

Auch wenn damit ein reales Land bezeichnet wird, so entwickelt sich in diesem Film daraus der Kulminationspunkt von Sehnsucht. Etwas Unwirkliches, Bedeutungsschweres, das zu erreichen den gebrochenen Menschen, die durch diesen Film wimmeln, kaum möglich oder erlaubt scheint.

Eine authentische Schauspielerriege trägt den Film - Grégoire Colin als Sava, Tatjana Alexander als Magdalena und besonders eindrücklich: Cornelius Obonya in der Polizistenrolle sowie Lukas Miko als Spielsüchtiger. Beklemmung allerorts, die Machart - von der bräunlich-gelben Anmutung des Lichts bis zur strengen Komposition jedes einzelnen Bildes - verbietet jede Leichtigkeit. Das ist der gewichtigste Einwand, der gegen "Spanien“ anzumerken ist.

Auf der anderen Seite gelingt es, durch den das Geflecht entwirrenden Schluss doch in ausreichendem Maß, die bleierne Schwere aufzulösen, sodass "Spanien“ durchaus als respektables Debüt herhält. Dass Dimitré Dinev, Drehbuchautor und Kenner der slawischen Seele, seiner Liebesgeschichte eine dunkle bis fahle Färbung verleiht, die dann die Regisseurin entsprechend in Szene setzt, verwundert kaum.

Angesichts der erwähnten Schwierigkeit, das Filmfest Diagonale mit einem Spielfilm zu eröffnen, eine plausible Wahl, die jedenfalls die Auseinandersetzung wert ist.

Spanien

A 2012. Regie: Anja Salomonowitz. Mit Grégoire Colin, Tatjana Alexander. Filmladen, 102 Min. Im Kino ab 23.3.

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