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Die Fahrt mit den Sterbenden

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Uber die tragischen Umstände unmittelbar nach der Tat, so die Fahrt mit den Sterbenden über die Lateinerbrücke, liegen präzise Angaben vor. Sie stammen vor allem von den Herren der Suite, die die Fassung bewahrten und sich sofort um die Opfer bemühten. Unterschiede in den Aussagen erklären sich wohl aus der herabgesetzten Beobachtungsfähigkeit in einer Paniksituation.

Generalstabsmajor Höger hörte im vierten Wagen des Konvois „schwache” Schüsse und lief mit Oberst Bardolff, dem Flügeladjutanten des Erzherzogs, zum Auto der Hoheiten.

„In der Höhe des rechten Hinterrades kam mir ein Menschenknäuel entgegen, der auf einen in gebückter Haltung sichtbaren schwarzen Kopf einhieb. Ich sprang… als Schutzabwehr auf das rechte Trittbrett zur Deckung der Hoheiten.

…Seine Kaiserliche Hoheit saß ruhig im linken Fondsitz des Wagens und blickte nach vorwärts, die Hoheit sank in dem Moment, sich gegen den Erzherzog wendend, auf beide Knie mit dem Kopf auf seinen Schoß, als wollte sie ihn schützen und zugleich Schutz suchen.”

Nachdem der Wagen der Hoheiten („irrtümlich”) in die Franz-Josef- Straße eingebogen war und zu „reversieren begann”, nahm auch Oberst Bardolff die Schüsse wahr:

„Ich bin sofort von meinem Auto heruntergesprungen und auf das Auto meines höchsten Herrn zugelaufen und sah rechts einen Knäuel von Leuten, welche den Attentäter umringten…Hierauf wurde das Auto in den Konak dirigiert, ich fuhr mit…auf dem Trittbrett…und leistete meinem höchsten Herrn durch weiteres öffnen der blut- beströmten Kleider weiteren Beistand. Schon während der Fahrt hatte ich den Eindruck, daß Ihre Hoheit getötet sei. Dieser Eindruck wurde zur Gewißheit, als ich Ihre Hoheit mit dem Obersthofmeister aus dem Auto hob. Seine Kaiserliche Hoheit waren zu dieser Zeit bereits bewußtlos, doch scheint der Tod erst auf dem Sofa im Konak eingetreten zu sein.”

Potioreks unverständliche Aussage

Feldzeugmeister Potiorek saß im Fond des Thronfolgerwagens, also in nächster Nähe des Erzherzogs. Aus den Geständnissen der Verschwörer wissen wir. daß sie es schon lange auf ihn abgesehen hatten. Um so unerklärlicher ist Potioreks Reaktion, um so unverständlicher seine Aussage. Niemand kannte besser die lokalen Verhältnisse, niemand war so vertraut mit dem politischen Klima. Und außerdem, Potiorek war, wie sich beweisen läßt, über das Bestehen von Verschwörerorganisationen nicht im unklaren. Beim ersten Attentat glaubte er an eine Kindermutwilligkeit. Über das zweite sagte er, „diesmal hatte ich vom ersten Moment an den zweifellosen Eindruck eines Attentats, war aber zunächst des Glaubens, dasselbe sei glücklicherweise wieder ganz erfolglos geblieben..

Hier seine Aussage:

„…während dieses Zurückschiebens sank Ihre Hoheit nach links gegen Seine Kaiserliche Hoheit und auf meine rechte Hand. Ich schrieb dies einem durch die überstandene Gefahr hervorgerufenen Schwäche- anfall zu, und glaubte immer noch, daß beide Hoheiten unverletzt seien, dies um so mehr, weil sowohl Seine Kaiserliche Hoheit als auch Ihre Hoheit still einige von mir im Lärm nicht verstandene Worte sprachen.”

Sofort zur Stelle war auch Obersthofmeister Freiherr von Rumers- kirch:

„…Als ich das erste Auto erreicht hatte, sah ich Ihre Hoheit, die Frgu -ffefzfyft®, übeg S efgę-Kaišęs liehe, ffofigit. gebeugt unjį dgchte, daß sie vor Schrecken ohnmächtig sei. Seine Hoheit saß aufrecht mit ganz steifem Kopf im Wagen, und nachdem Seine Kaiserliche Hoheit einige Worte, die ich nicht verstehen konnte, gemurmelt hatte, trat ein Strom Blut aus seinem Mund… Das Auto fuhr hierauf in den Konak…”

Die Worte, welche Freiherr von Rumerskirch nicht verstanden hatte, glaubte dagegen der neben dem Thronfolger rechts auf dem Trittbrett stehende Graf Harrach deutlich vernommen zu haben:

„… Während das Auto rasch reversierte, spritzte ein dünner Blutstrahl aus dem Munde Seiner Kaiserlichen Hoheit auf meine rechte Backe. Während ich mit der Hand mein Taschentuch zog, um das Blut vom. Munde des Erzherzogs zu wischen, rief Ihre Hoheit: ,Um Gottes willen, was ist geschehen’, worauf sie von dem Sitze herabsank, mit dem Gesicht zwischen den Knien des Erzherzogs. Ich ahnte gar nicht, daß sie getroffen wäre und dachte, sie sei aus Schreck ohnmächtig geworden. Auf das sagte Seine Hoheit: ,Šoferi, Šoferi, stirb mir nicht, bleibe für meine Kinder.’ Auf das ergriff ich den Erzherzog beim Rockkragen, um das Vorsinken des Kopfes zu verhindern und frug ihn: ,Leiden Eure Kaiserliche Hoheit sehr?’, worauf er deutlich antwortete: ,Es ist nichts.’ Nun verzog er etwas sein Angesicht und wiederholte sechs-, siebenmal, immer mehr sein Bewußtsein verlierend und in immer leiserem Ton: ,Es ist nichts.’ Dann trat eine kurze Pause ein, worauf ein heftiges Röcheln infolge des Verbluten s eintrat, welches bei der Ankunft im Konak aufhörte.’’

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