„Ich glaube“ – denn Reue tilgt alle Schuld im Nu

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Am vergangenen Sonntagabend wurden auf dem Domplatz in Salzburg die Festspiele 2010 mit dem verjüngten „Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal eröffnet. Regisseur Christian Stückl bemühte sich redlich, das Stück weiter auf die Kernfragen nach Erlösung durch Reue und Bekehrung sowie der Rechenschaft über das eigene Tun zuzuspitzen.

Auch im 90. Jahr seit seiner Festspielpremiere ist das ebenso folkloristische wie moralische Mysterienspiel vom „Sterben des reichen Mannes“ heftig umstritten. Aber das traditionelle Herzstück gilt seit der Inszenierung aus dem Jahr 1920 durch Max Reinhardt als die Cashcow der Salzburger Festspiele und hält sich hartnäckig im Programm.

2002 betraute der damalige Schauspieldirektor Jürgen Flimm den passionsspielerprobten Bayern Christian Stückl mit der Reform des nicht mehr ganz zeitgemäßen Stücks. Seither hat er viel verändert: Ein großer Teil des allegorischen Personals ist verschwunden, ganze Textpassagen sind von einer Figur zur anderen gewandert, das Pathos und der Bekehrungseifer wichen zuweilen überbordender Spiellust. Und das Glaubensbekenntnis trägt sogar ironisch der Teufel vor.

Heuer bemühte sich Stückl redlich, den „Jedermann“ weiter auf die Kernfragen nach Erlösung durch Reue und Bekehrung sowie der Rechenschaft über das eigene Tun zuzuspitzen. Doch kommt er dabei kaum über Hofmannsthals krude Moralität hinaus. So bleibt die gewichtigste Neuerung die Neubesetzung des Jedermann. Auf Peter Simonischek, der acht Jahre, so lange wie keiner vor ihm, den prassenden Lebemann verkörperte, folgt der Burgschauspieler Nicholas Ofczarek. Sein Jedermann ist weniger ein Tunichtgut aus Lebensgier als ein präpotenter Flegel mit manifestem Hang zu exzessiver Gewalt, ein zynischer Schläger, ein veritables A … loch. So intensiv und gekonnt Ofczareck seine Rolle füllt, liegt darin auch ein Problem: Die tragische Fallhöhe ist dahin, was diesem Jedermann geschieht, geschieht ihm zu Recht. Und man glaubt ihm die Erkenntnis des eigenen moralischen Mangels im Angesicht des Todes kaum. Seine Bekehrung ist nicht mehr als Theatertext.

Ach ja, auch die Buhlschaft wurde mit Birgit Minichmayr neu besetzt. Im roten schulterfreien Kleid spielt sie eine kecke, liebeshungrige Frau, die ganz unsentimental auf Erfüllung im Hier und Jetzt aus ist. Trotzdem bleibt Minichmayr in der wichtigsten Nebenrolle der Republik selten blass. Ein Nichts in Rot.

Jedermänner im Parkett

Peter Jordan in der Doppelrolle Guter Gesell und Teufel hat den schönsten Moment im Stück: Nachdem er den Kampf um Jedermanns Seele verloren hat, zeigt er mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die kapitalistischen Jedermänner im Parkett und droht, er komme wieder, denn es gebe hier noch viel zu tun. Die Angesprochenen – sofern sie sich als solche fühlen – dürfen jedoch hoffen, dass Reue ihnen die Pforten des Himmels öffnen wird. Denn, so die gerade heute fatale Botschaft: Lebe, wie du willst, nur im letzten Moment bekenne „Ich glaube!“ – denn Reue tilgt alle Schuld im Nu.

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