Lebensader und Scheidelinie

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Noch nie hat ein Dokumentarfilm den Goldenen Löwen, den Hauptpreis des alljährlichen Filmfestivals von Venedig errungen. Bis 2013 die Statue in die Hände von Gianfranco Rosi gelegt wurde: Der italienische Filmemacher wurde für seine Autobahngeschichte "Sacro GRA" ausgezeichnet, mit der er der "Grande Raccordo Anuale", der 68 Kilometer langen Ringautobahn um die Stadt Rom ein Denkmal gesetzt hat. Schon der Filmtitel ist voller Anspielungen, mutet er nicht nur dieser Autobahn so etwas wie "Heiligkeit" zu, sondern erweist sich auch als Hinweis auf den Heiligen Gral (italienisch: "Sacro Graal"). Und man denkt unwillkürlich an den Film über die Ewige Stadt: Fellinis "Roma" ist nicht nur im Zitat des verstorbenen Meisters (vgl. das nebenstehende Interview mit Rosi) präsent, sondern die unvermutet prallen Geschichten, die "Sacro GRA" bereithält, halten die Erinnerungen ans Goldene Zeitalter des italienischen Films präsent. Die monatelangen Recherchen Gianfranco Rosi haben eine Reihe von mehr oder weniger kauzigen Persönlichkeiten zu Tage gefördert, deren Geschichten dieser Film in ineinander verschachtelten Fragmenten erzählt. Da ist der etwas betagte Entomologe Francesco, der einen Sisyphuskampf gegen eine Käferart (Abb. links) führt, welche die Palmwälder rund um die GRA existenziell bedroht. Oder der ebenfalls überständige Fürst Filippo Pellegrine, der sein Anwesen für Fotoshootings und extravagante Feiern öffnet und selber einer Fantasie von Salvador Dalí entsprungen scheint -ob er nun in seiner goldene Badewanne mit US-Flagge im Hintergrund seiner Körperpflege nachgeht oder mit Gesponsin und Baby-Tochter als Ritter von St. Kasimir einen Ordensbruder aus Litauen empfängt. Der Adel hat es dem Filmemacher angetan, zeigt er doch auch die heruntergekommene Existenz des philosophischen vollbartbestückten Paolo Regis, der mit seiner Tochter in einem Wohnblock haust. Dabei sind die tatsächlichen Obdachlosengeschichten, die "Sacro GRA" bereithält, natürlich noch anrührender - wenn ein Paar, er Transvestit, sie seine Gefährtin, über eine Unzukömmlichkeit mit der Polizei sinniert. Gar nicht zu reden von den Protagonistinnen der käuflichen Liebe, die man in diesen (Vor-)Stadtregionen gleichermaßen vorfindet. Da mutet die Weltsicht des Tiberfischers Francesco schon fast "normal" an, auch wenn der seiner besseren Hälfte, die aus der Ukraine stammt, noch vieles, was ihn bewegt, einitalienischen muss. Das sind nur einige der Stränge dieses Films, durch den sich wie ein roter Faden jene Autobahn zieht, die sich gleichzeitig als Lebensader entpuppt wie als Scheidelinie zwischen Existenz und Vegetieren. Aber auch wenn Rosi im Interview den Pessimisten über Rom und seine Menschen hervorkehrt, so ist "Sacro GRA" mitnichten ein pessimistischer Film, sondern eine letztendliche Liebserklärung an diese Stadt. Und diese Gemeinsamkeit mit dem Fellini, dem übergroßen Altvorderen, ist Gianfranco Rosi zu konzedieren.

Sacro GRA -Das andere Rom I/F 2013. Regie: Gianfranco Rosi. Filmladen. 93 Min.

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