Lebensverwicklungen im Großbürgermilieu

Werbung
Werbung
Werbung

In "Glücklich die Glücklichen“ beschreibt Yasmina Reza Menschen, die ohne Geldsorgen auch nicht glücklich sind.

Yasmina Reza, 1959 in Paris geboren, gilt als meistgespielte zeitgenössische Dramatikerin, ihr Erfolgsstück "Der Gott des Gemetzels“ hat Roman Polanski 2011 verfilmt. Ihre Figuren kommen meist aus dem (groß)bürgerlich jüdischen Milieu, dem sie selbst entstammt und das sie in ihren Ritualen und Verlogenheiten mit Witz und flotten Dialogen vorführt. Auch wenn sie die Zuordnung zum Boulevardtheater zurückweist, einer klamaukigen Inszenierung setzen ihre Texte zumindest nichts entgegen. 2013 überraschte sie das französische Publikum mit dem Roman "Heureux les heureux“, der in der renommierten Éditions Flammarion erschien und ein knappes Jahr später, betreut von ihren langjährigen Übersetzern Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel, nun auf Deutsch vorliegt.

"Glücklich die Glücklichen“ ist eine locker gefügte Folge von 21 Szenen über die Liebes- und Lebensverwicklungen von 18 Figuren, fast alle aus einem Milieu, das Geldsorgen nicht kennt, auch die Banker unter ihnen haben nie Schiffbruch erlitten, die anderen sind Ärzte, Berater, Anwältinnen oder Schauspielerinnen. Glücklich, und das ist die leicht triviale Botschaft, sind sie trotzdem nicht. Die drei Ehepaare mit ihren wechselnden Affären so wenig wie der homosexuelle Arzt oder die Schauspielerin. "Jedes Paar ist ein unergründliches Rätsel. Es bleibt unbegreiflich, selbst wenn man ein Teil davon ist“, sagt der alte Ehrenfried.

Dramaturgisches Geschick

Dass sich das Ganze gut liest, verdankt sich dem flotten Ton und auch einer geschickten Architektur. Die Szenen fügen sich nicht in Reigen-Manier mechanistisch ineinander, die Schicksale wachsen erst allmählich zusammen und machen Verbindungen sichtbar, bis sich alle Figuren dann in einer Art Show-Down zusammenfinden beim Begräbnis des alten Ernest Blot, ein erfolgreicher Finanzberater und Familienpatriarch der alten Schule. Ihm und seinem Freund Jean Ehrenfried gehören die strategisch positionierten Abschnitte sieben, vierzehn und einundzwanzig. "Zwei Titanen.“ So hat Blot sie beide einst genannt, und das ist der letzte Satz des Buches. Was die Geschicke und Lebensprobleme ihrer Nächsten betrifft, waren sie das wohl tatsächlich. Nicht nur Blots Frau Jeannette hatte in ihrem Leben an seiner Seite außer Wohlstand nichts zu erwarten, auch im Leben seiner Tochter Odile hat er wie alle lieblosen Väter nachhaltige Spuren hinterlassen. In der verkrampften Abwicklung der Begräbniszeremonie ist vieles davon unausgesprochen präsent. Die Figurenführung profitiert dabei vom dramaturgischen Geschick der Autorin.

Nonverbale Kommentare

Und das gilt ganz besonders auch bei jenen beiden Szenen, die das Buch insofern wie einen Rahmen umgeben, als jeweils ein eigentlich unwichtiges Requisit den Stellvertreterkrieg auslöst. In der ersten Szene des Buches ist es ein bestimmter Käse, um den Odile und ihr Mann Robert beim gemeinsamen Einkauf im Supermarkt in Streit geraten. Es geht natürlich um alles, nur nicht um den Käse. In der vorletzten Szene ist es jene billige Einkaufstasche, in der Blots Witwe die Urne mit Blots Asche transportiert, die er testamentarisch verfügt im Fluss seines Kindheitsdorfes verstreut wissen will. Schon die Grundkonstellation ist grotesk: die Witwe fährt mit Schwägerin, Tochter und Schwiegersohn, die Urne im Handgepäck, mit dem Zug in das Dorf, in dem Blot und seine Schwester aufgewachsen sind. Die schwelgt in Kindheitserinnerungen, die keinen interessieren. Die Witwe will die lächerliche Zeremonie, mit der ihr Blot noch posthum seinen Willen aufzwingt, so rasch und pietätlos wie möglich hinter sich bringen. Die Tochter sucht nach ein wenig Trauer für den toten Vater, und ihr Mann versucht ungeschickt zwischen den verschiedenen Gefühlslagen zu vermitteln. Das Objekt, an dem sich die differenten Emotionen festhaken, ist die billige Transporttasche, mit der die Witwe ihre ganze Verachtung für den Verstorbenen ausdrückt. Wütend zerrt sie die Tasche aus dem Müllkorb heraus und beharrt darauf, sie wieder verwenden zu wollen - ein nonverbaler Kommentar zu einer langen Ehehölle.

Solche Verdichtungen gelingen Yasmina Reza in "Glücklich die Glücklichen“ immer wieder, das kann im Warteraum des Onkologen sein, beim Interview der Schauspielerin im Kaffeehaus, in der Umkleidekabine eines Modegeschäfts oder in der geschlossenen Anstalt, wo der Sohn eines der Paare landet, der glaubt, die Sängerin Céline Dion zu sein. Am wenigsten überzeugend gerät es dort, wo sich, wie etwa im Bridge-Club, das Schrille ein wenig zu stark in den Vordergrund schiebt.

Glücklich die Glücklichen

Von Yasmina Reza Hanser 2014

176 S., geb., e 18,40

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung