Literatur aus der Vergangenheit

Werbung
Werbung
Werbung

Am 8. Mai feiert die Schriftstellerin Gertrud Fussenegger ihren 90. Geburtstag. Dieses hohe Alter und die Ausstrahlung der aus Böhmen stammenden Offizierstochter legt manchen Festrednern und -schreibern das Klischee von der "Grande Dame" oder der "Doyenne" der österreichischen Literatur in den Mund. Damit lässt sich bequem verschleiern, dass die Autorin im katholischen Milieu bisweilen glorifiziert wurde - 1988 sprach sie als Vertreterin der Künste im Großen Festspielhaus in Salzburg vor dem Papst -, im Literaturbetrieb aber oft zu wenig Beachtung fand. Rund 60 Bücher hat sie veröffentlicht, Übersetzungen liegen weltweit in elf Sprachen vor. Ihre Themen fand die promovierte Historikerin hauptsächlich in der Geschichte, am bekanntes-ten wurde sie durch die Romantrilogie über eine deutsch-böhmische Familie, aus der "Das Haus der dunklen Krüge" eben neu aufgelegt wurde. Daran hat sie nach einem halben Jahrhundert mit dem im Vorjahr erschienenen Roman "Bourdanins Kinder" angeknüpft. Gertrud Fussenegger weiß Leser wie Zuhörer noch immer zu faszinieren, und das liegt nicht zuletzt an ihrer sehr traditionellen Erzählweise.

Dass sie der NSDAP angehörte und 1938 ein Lobgedicht auf den Führer veröffentlichte, wurde lange verschwiegen und dann umso deutlicher an den Pranger gestellt. Es gehört zu ihrer persönlichen Lebensgeschichte, vor allem aber auch zur Geschichte des Katholizismus und seiner Frontstellung gegen die Moderne. Gertrud Fussenegger selbst hat Worte gefunden, die Bedauern ausdrücken, aber kein Entsetzen über die Barbarei der industriell organisierten Tötung von Menschen.

"Spiegelbild mit Feuersäule" nannte Gertrud Fussenegger ihre Autobiographie; die biblische Anspielung steht für den hohen Stellenwert der Religion in ihrem Werk. Im Roman "Zeit des Raben Zeit der Taube" stehen sich die Lebensgeschichten des Mystikers Leon Bloy und der Naturwissenschafterin Marie Curie gegenüber. Ein Essay ist dem Thema "Die Schriftsteller und ihr Gott" gewidmet. Und einen der interessantes-ten Jesus-Romane nach 1945 hat Fussenegger geschrieben: das aus Aufzeichnungen und Dokumenten vielstimmig arrangierte Porträt "Sie waren Zeitgenossen", in dem Jesus kaum vorkommt, aber doch das Gravitationszentrum bildet.

Frauenfiguren haben Gertrud Fussenegger immer wieder beschäftigt, so in einer Biographie Maria Theresias und in den Novellen "Shakespeares Töchter". Neben den Romanen enthält ihr Werk auch Gedichte und die Textvorlage für eine Oper. Realistische Dialoge und eine farbige und detailreiche Imagination der Vergangenheit sind die Grundachse ihres Schreibens, mit dem sie ein großes Publikum erreicht hat. "Als Epiker lebt man in der Vergangenheit viel mehr als in der Zukunft. Die Vergangenheit, die blüht aus jedem Eck", sagte sie in einem Interview. CH

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung