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„Es ist kein Spaß, seine Heimat aufzugeben”

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FURCHE: 1918, als Sechsjährige schrieben Sie „als mich Gott auf die Erde ließ, war tiefer Friede, dann kam der schreckliche Krieg, das Volk jagte den Kaiser weg. Wir waren sehr enttäuscht.” Kommt die Ansicht, daß 1912, als Sie geboren wurden, tiefster Friede war, nicht aus der Tatsache, daß Sie von der Familie wohlbehütet und abgeschirmt wurden?

GERTRUD FUSSENEGGER: Das ist, wenn sich ein sechsjähriges Kind beeindruckt zeigt von dem, was sich in der Welt ringsum ereignet. Es hat natürlich auch meine Eltern betroffen und wir Kinder haben da sehr mitgelebt. Der Vater kam als ein zerstörter Mensch, zwar unverwundet, aber zutiefst psychisch gestört oder gebrochen, kann man sagen, aus dem Krieg, und es hat uns natürlich Eindruck gemacht.

Selbstverständlich weiß ich heute als Historikerin und sonst also auch interessiert an meiner ganzen Vergangenheit, daß das Jahr '12 keineswegs ein sehr friedensgesegnetes Jahr war, sondern sehr lange hat schon dieser Erste Weltkrieg gebraut, als eine Drohung über den europäischen Völkern. Und leider haben ja auch die europäischen Völker, mindestens in ihren Massen, diesen Krieg erwartet und sogar herbeigesehnt.

FURCHE: Sie haben in Ihrem Buch „Ein Spiegelbild mit Feuersäule” auch erwähnt, daß Ihre Mutter von der systembesessenen Tochter nicht entzückt war.

FUSSENEGGER: Ich komme eigentlich aus einer eher liberalen Familie. Die Familie meiner Mutter war eine böhmische Bürgersfamilie und man hat mich manchmal gefragt, wie hat denn dort der Katholizismus ausgesehen, und da hab ich gesagt, es ist eher so ein Maiandacht-Katholizismus gewesen, man hat sich also die hübschen und poetischen Dinge herausgesucht, aber fand sich nicht strikte eingebunden in das System. Es fiel niemandem ein, zum Beispiel bei einem Geistlichen Zuspruch zu suchen.

Dann sind wir aber von Böhmen weggezogen nach Tirol, zuerst nach Vorarlberg, und in Vorarlberg hab ich eben eine Lehrerin gehabt, die kam kurz vorher aus ihrer Klosterschule und das war eine sehr eindrucksvolle Person, also mich hat sie stark beeinflußt. Meine Mutter war ein wenig eifersüchtig und fand es also nicht richtig, wenn sie mich in der Nacht vielleicht im Schlafzimmer auf den Knien vor dem Bett gefunden hat mit dem Rosenkranz in den Händen. Denn meine Mutter hat nichts mehr verachtet oder gehaßt als Bigotterie.

FURCHE: In welchem Alter war das?

FUSSENEGGER: Na, da war ich sieben, acht, neun.

FURCHE: So jung noch?

FUSSENEGGER: Ja, die tiefe Beeindruckung hat vorgehalten bis in mein 16., 17. Lebensjahr, da war ich dann wieder in Pilsen und hab natürlich dort alle Ideen aufgesogen. Die jungen Leute waren sehr beeindruckt vom Marxismus und vom Kommunismus und auch dieses Phase hat man wohl durchschritten. Gott sei Dank war sie nicht sehr ausgiebig bei mir. Denn mich hätte ja am Sozialismus und am Kommunismus wirklich die strikte Gleichheit interessiert. Und wenn man dann so ein Modell durchspielt in Gedanken, dann muß man sich sagen, die strikte Gleichheit führt zur strikten Knechtschaft.

FURCHE: Ihr Vater war Offizier, wurden Sie von seiner Denkweise beeinflußt?

FUSSENEGGER: Oja, ganz stark, obgleich er nicht viel mit uns Kindern gesprochen hat, aber seine Person wirkte ganz stark in uns ein. Also in Richtung Disziplin, auch Verschweigen und durch das Verschweigen auch das innerliche Verarbeiten.

FURCHE: Sie erlebten den Verfall der Donaumonarchie und zogen 1919 von Pilsen nach Dornbirn. Nicht ganz freiwillig, es war ja eine schlechte Zeit und ihre Eltern wollten diesen aufkommenden Unruhen schon ausweichen.

FUSSENEGGER: Es war eine schlechte Zeit ja. Mein Vater wäre auf keinen Fall in der Tschechoslowakei geblieben. Die Tschechoslowakei hat er nicht als einen legitimen Nachfolgestaat der alten Monarchie empfunden und es waren auch damals schon Exzesse gegen Deutsche, die uns nicht ermutigt haben dortzubleiben.

FURCHE: Wie stehen Sie zur heutigen Situation, den Flüchtlingen gegenüber aus dem ehemaligen Jugoslawien?

FUSSENEGGER: Das sind arme

Menschen und es ist unmöglich, sie ihrem Schicksal zu überlassen, es ist natürlich auch sehr gefährlich, wenn alle Menschen jetzt bei uns bleiben wollten. Sie werden ja später, wenn einmal der Frieden kommt, und er wird eines Tages kommen, wieder unten gebraucht werden. Wenn damals alle nach Übersee ausgewandert wären, die es damals vorhatten, oder das gewünscht hätten, dann hätten wir hier einen großen Schaden erlitten. Also ich glaube, es ist kein Spaß, seine Heimat aufzugeben und woanders einzuwurzeln. Man gibt selbst sehr viel von seinem Eigenen auf.

FURCHE: Ist es möglich, den bosnischen Flüchtlingen eine Heimat in Osterreich zu geben?

FUSSENEGGER: Ja, viele werden sicherlich hierbleiben und sie werden integriert werden so wie viele andere. Ich glaube, die Bosnier und die Kroaten sind uns Nahverwandte. Die kommen ja nicht aus Asien oder Afrika. Sie müßten sich relativ leicht integrieren lassen.

FURCHE.Wo ist Ihre Heimat?

FUSSENEGGER: Das Leben hat mich mal dahin und mal dorthin geführt. Und ich glaube, dort wo man Menschen findet, die einem wohlwollen, dort kann man auch eine Heimat gewinnen.

FURCHE: Was möchten Sie den jungen Menschen aus Ihren Lebenserfahrungen mit auf den Weg geben?

FUSSENEGGER: Viel, ja vor allem Zuversicht und einen Glauben daran, daß auch eine problematische Welt eben eine Aufgabe bedeutet, die gelöst werden sollte. Es wäre ja eine schreckliche Welt, wenn alle Probleme jetzt und hinc et nunc gelöst werden könnten, denn dann bliebe nichts übrig, um eben in den späteren Generationen mehr Energie, mehr Engagement und mehr Einfallsreichtum zu erwecken.

FURCHE: Was geben Sie jungen Schreibenden mit auf den Weg?

FUSSENEGGER: Es ist nicht leicht, einen Verleger zu finden und eine Publikationsmöglichkeit. Das was schlimm ist an der Situation der Literatur heutzutage, daß alles so schnell veraltet. Ein Buch, das im Frühjahr erscheint, ist im Herbst schon veraltet. Und das ist natürlich ein ungeheurer Verschleiß an geistiger Leistung und an geistiger Energie. Der Kommerz drückt da und beschleu-* nigt den Umlauf derartig, daß er zu einer sinnlosen Vergeudung führt.

FURCHE: Soll man nicht schreiben?

FUSSENEGGER: Nein, das nicht. Ich sage jedem, der sich an mich wendet, schreibt nieder, es ist immer schon gut, wenn etwas in Sprache gebracht wird, wenn ich etwas aus mit herausstellen kann, dazu eine Distanz gewinnen kann, das Schreiben würde ich niemandem verbieteten. Ich muß allerdings sagen, daß es ein harter Weg ist, den man da beschreitet. Die Literatur und wie soll ich sagen, der kritische Apparat ist tatsächlich unerbittlich.

Das Gespräch mit Gertrud Fussenegger führte Renate Niedermaier.

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